Wenn ein Schwein (oder ein Hund oder ein Maulwurf oder eine Kuh ...) ein Kind tötete, so wurde damals das Schwein in einer offiziellen Gerichtsverhandlung zum Tode verurteilt, und vom Scharfrichter getötet. Der Kadaver wurde dann verscharrt, keinesfalls gegessen, nicht einmal verfüttert. Wenn dasselbe heute passiert, wird das Tier auf behördliche Anweisung hin getötet, der Kadaver wird gleichfalls vernichtet, keiner Nutzung zugeführt. Meist. Noch.
Sie meinen, es bestünde kein Unterschied? Ich eigentlich auch. Denn das Welterleben, die Stellung zur Welt, und damit die empfundene Notwendigkeit ist gleich. Nur die Begründungen haben sich geändert: die heutige Zivilisation braucht Zwecke. Wir fassen dieselben Geschehnisse anders auf. Es tritt anderes ins Bewußtsein.
Der mittelalterliche Mensch tötete das Schwein (oder den Hund oder die Kuh ...), weil es schuldig geworden war bzw. diese Schuldigkeit darstellte. Der heutige Mensch sieht den Aspekt der Schädlichkeit. Das Mittelalter (und überhaupt: frühere Epochen) sah den Aspekt der Sühne, weshalb es eines Richters und eines Henkers bedurfte. Wir sehen durch jede Art der Tötung Genüge geschehen, sehen nämlich vor allem den Sinn der Vermeidung weiteren Schadens (der im Mittelalter übrigens ebenso erfüllt war).
Dennoch, noch schwingt auch heute, in Spuren, in kleinen Geruchsdosen, der damalige und heute gleiche Hintergrund mit: obwohl wir heute auch den Fleischer oder den Jäger holen könnten, wurde das solcherart zum Tode bestimmte Tier trotzdem lieber dem Abdecker überantwortet, in keinem Fall wird es aber, auch heute, verspeist. Freilich, daß wir der Todesart gegenüber immer gleichgültiger werden (Abdecker - Jäger - Fleischer/Metzger - Polizist auf Tierjagd ...) zeigt den unaufhaltsamen Sieg des Utilitarismus. (Warum auch das erwähnte Ritual? - So lautete ja wohl die nächste Frage.)
Immerhin ist in eben diesem Zeitraum der Wandel von der Kultur zur Zivilisation eingetreten.
Günther meint wohl, dieses Beispiel illustriere etwas. Ich auch.
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