Ungläubige dieser Tage, die vorgeben philosophisch zu sein, reden vom Christentum als einer wunderbaren Tatsache freilich in der Weltgeschichte, aber doch als einer menschlichen. Nun brauchen wir nicht zu leugnen, daß es in gewissem Sinne menschlich ist, das heißt insoweit es von außen betrachtet wird. Es ist ein göttlicher Schatz, aber in irdischen Gefäßen. [...]
Aber wenn es ein Reich ist, wenn es eine Philosophie ist, so wird es, wie es seinen Anfang hatte, auch seinen Niedergang haben. Das ist es, was die Ungläubigen prophezeien. Sie halten in Ruhe und Zuversicht Ausschaue nach dem Untergang des Christentums im Laufe der Zeit, weil es einmal seinen Aufgang hatte. [...] Weil die Welt ihm vorherging, so meinen sie, daß sie es auch überleben werde. [...]
Zweifellos könnte das Christentum solcherart sein; es könnte dazu bestimmt sein, zu sterben, ebenso wie ein individueller Mensch stirbt. Ja, es kann wirklich bestimmt sein, so zu sterben; es kann bestimmt sein, zu altern, zu verfallen, und schließlich zu sterben; - aber wir wissen, daß wenn es stirbt, zum wenigsten mit ihm auch die Welt sterben wird. Die Dauer der Welt hat an ihm ihr Maß. Wenn die Kirche stirbt, ist die Zeit der Welt abgelaufen. Die Welt wird niemals über die Kirche triumphieren. Wenn die Kirche in Krankheit fällt, wird auch die Welt eine Klage erheben um ihrer selbst willen; denn gleich Samson wird die Kirche alles unter sich begraben.
Aber dennoch, es mag in voller Wahrheit so sein, daß die christliche Kirche zu einem Ende kommen kann ebenso wie das Judentum; das heißt soweit sie sterblich ist, soweit ihre Glieder sterblich sind.
John Henry Kardinal Newman, in "Die Kirche und die Welt"
*150913*