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Freitag, 13. September 2013

Warum doch nicht vegetarisch

Der schon sehr betagte Robert Spaemann in einem Gespräch mit Richard David Precht mit einigen erstaunlichen, aber im Ganzen gewohnt besonnenen Aussagen, aus denen die Subtilität und Komplexität moralischer Fragen generell gut ersichtlich wird.

Vorrangig geht es um das Verhältnis zu den Tieren, zum Fleischkonsum. Fleisch essen, sagt Spaemann - ja, aber in untrennbarer Beziehung zum Umgang mit den Tieren. Es ist deshalb sehr wichtig, daß man sieht, was man tut, denn es geht darum, die menschliche Verantwortung wahrzunehmen, und Tieren nicht (unnötigen, nicht vernünftig begründbaren) Schmerz zuzufügen. Töten (von Tieren) an sich ist nicht "Leidzufügung". Das entscheidende ist das Verhältnis der Gegenseitigkeit, nicht (prinzipiell) die Grenze Mensch - Tier. Darin liegt die Achtung vor dem anderen Wesen. Der Mensch sollte deshalb bereit sein, die Folgen seiner Handlung mit eigenen Augen zu sehen*. Darin liegt die Akzeptanz des Übels der anonymen Massenschlachthäuser, wo Tieren so große Qualen zugefügt werden.**

Dem Menschen gegenüber bezieht sich das Tötungsverbot (unabhängig vom Faktum Leid) auf die Tatsache, daß sein Personsein nur im Plural möglich ist. Menschen zu töten heißt, ein humanes Beziehungsgeflecht auszulöschen. Das Lebensrecht JEDES Menschen ergibt sich aus der Tatsache, daß er Mitglied der Menschheitsfamilie ist. Überschreitet man diese Grenze, gibt es für den Einzelfall keine Grenze mehr, weshalb er er nicht getötet werden können sollte. Die Spezies ist das Argument, nicht seine Vernunftfähigkeit, keine Fähigkeit überhaupt. Und zwar deshalb, weil Menschsein in seiner ausgeprägten Form alle diese Eigenschaften (Vernunft etc.) HAT. Das zeigt sich daran, daß wir Menschen ohne Moral, ohne Verantwortungsgefühl als jemanden mit "einem Defekt" sehen. Menschsein ergibt sich also nicht aus der Aktualisierung oder seinen Defekten, er wird damit nicht zu einer anderen Art, sondern er ist immer Mitglied der Spezies.

Deshalb ist es auch zulässig, wenn auch nicht die höchste mögliche Lebensform für den Menschen, Tiere zu töten. Das rechtfertigt auch die Jagd, nur nicht in allen Formen (etwa in der Hetzjagd). Denn dem Menschen ist alles zu seinem Nutzen gegeben. Das kann auch Tierversuche rechtfertigen, wenn das menschliche Interesse hochwertig ist (sodaß die Kosmetik da schon fast gewiß herausfällt), mit der Tatsache, daß man manchmal mit Menschen Experimente machen darf - Stichwort: Zumutbarkeit, die vorausgesetzte, prinzipielle Zustimmung also, vs. Gerechtfertigtheit - die man mit Tieren gar nicht machen darf. Das Stopfen der Gänse, nur um den Gaumenkitzel der Leberpastete zu genießen, schließt sich damit gleichfalls aus.

Tiere haben aber keine "Rechte", aber wir haben Pflichten ihnen gegenüber. Das Tötungsverbot sollte sich aber auch auf Primaten bzw. Wesen mit ausgeprägtem, "humanoidem" Sozialverhalten beziehen, meint Spaemann. Leiden bei Tieren ist schlimmer, als sie zu töten. Mit bloß "exakten", mathematischen, rein begrifflichen Methoden kann man Moralität nicht bewerten.

Aber es geht auch um die Verrohung, die hinter dem Quälen von Tieren steht. Je "humangesichtiger" die Handlung des Menschen wird, desto leichter kann sie sich dann auch auf Menschen ausweiten. Das ist der tiefere Sinn des gesellschaftlich (gesetzlich) verankerten Verbots von Tierquälerei - Selbstschutz, einerseits. Die menschliche Würde aber, andererseits, begründet sich darin, auf eigene Interessen verzichten zu können gegenüber den vorrangigen Interessen des anderen. Wer aber nicht freiwillig eine Pflicht übernehmen will, den darf man nicht zwingen.

Heißt die heute beobachtete moralische Sensibilität etwa diesen Dingen gegenüber auch höhere Moralität? Spaemann verneint das. Der Bomber von Hiroshima hätte persönlich nicht einen Menschen töten können, er war sensibel. Aber das Drücken eines Knopfes, der die Bombe auslöste, war ihm möglich. Das 20. Jahrhundert war zwar angeblich ein moralisch fortgeschrittenes Jahrhundert, aber es hat Grauen produziert, die wohl noch nie in der Menschheitsgeschichte produziert worden ist. Gerade die Modernisierung und Technisierung der Lebensvorgänge überfordert meist unser moralisches Urteilen.

Spaemann fände es als wünschenswertes Ziel zu erreichen, daß Tiere vor dem Menschen keine Angst mehr haben müssen.









*Spaemann führt übrigens dazu an, daß es bei Abtreibungsbefürwortern schlimmste Reaktionen hervorruft, wenn man sie auffordert, sich die Vorgänge dabei auf Film anzusehen. Es wäre schon viel geschehen, würden sie sehen, was dabei passiert, um DARAUS zu begreifen, was sie tun.

**Precht führt ein interessantes Beispiel an, wie sich menschliches Verhalten ändert, je nachdem ob der Mensch sieht, was er macht und beurteilt, oder nur "weiß" (über Sprache, Namen). Gesehen und nach Sympathie beurteilt, ergibt sich in Untersuchungen ein völlig anderes Bild, welche Tiere der Mensch mag, und welche nicht. Der sinnliche Eindruck ergibt das Verhältnis zu den Dingen.



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