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Sonntag, 22. September 2013

Prinzipien des Handelns

Die Größenordnung eines Eingriffs in die Natur - für menschliche Zwecke - spielt eine erhebliche Rolle. Denn spätere Generationen müssen die Möglichkeit haben, unsere Spuren zu beseitigen oder was, was wir ihnen hinterlassen, wiederum zu transformieren in das, was ihnen gut scheint. 

Zum einen also müssen wir Substanzen hinterlassen, die weiterhin solche Transformationen möglich machen, und dies ohne Spekulation auf ungeahnte technische Fortschritte. Denn zu diesen können wir unsere Nachkommen nciht verpflichten. 

Spaemann schreibt weiter: Das zweite aber ist dies: Wir haben nicht das Recht, über die Gefahren hinaus, die der Natur innewohnen - Erdbeben, Vulkanausbrüche, Wirbelstürme usw. - durch unsere Transformation von Materie zusätzliche Gefahrenquellen in unsreen Planeten einzubauen. Die natürlichen Lebensmöglichkeiten, die die bewohnbare Welt bietet, sind die notwendige Voraussetzung für die Realisierung von Freiheit und Autonomie, also auch für so etwas wie Recht. 

Angesichts der Endlichkeit der Welt müssen deshalb diese Lebensmöglichkeiten wie ein Kapital betrachtet werden, von dessen Zinsen wir leben, das wir jedoch selbst nicht angreifen dürfen, ohne eine Pflicht gegen unser Nachkommen zu verletzen, da ja das Grundkapital prinzipiell nicht wieder aufgefüllt werden kann. Jeder Einbau einer irreversiblen Gefahrenquelle kommt aber einem Anbrauchen eines Grundkapitals gleich.

Das muß übrigens heute (Spaemann schrieb den Aufsatz 1982) sehr wohl auch auf die Finanzgebarung in Staat, Öffentlichkeit wie Privatem ausgedehnt werden. Es handelt sich um Grundsätze moralischen Handelns, nicht um Detaillösungen.

Entscheidend ist nicht der Grad der Wahrscheinlichkeit künftiger Katastrophen. Wahrscheinlichkeit ist bloß eine subjektive Qualifikation künftiger Ereignisse. Entscheidend ist, daß der der Gewinn oder Verlust verbucht, DERSELBE ist. 

Die Risiken des Autoverkehrs durch Unfälle tragen jene, die ihn betreiben. Was noch nicht heißt, ob es prinzipiell vernünftig ist, solche Risiken zu tragen. Unzulässig ist aber in jedem Fall, wenn eine bestimmte Zahl von Menschen sich Vorteile verschafft, deren Folgen andere ungefragt zu tragen haben. Hier spielt Wahrscheinlichkeit gleichfalls keine Rolle. Niemand darf das Leben eines anderen verwetten, nur weil die Wahrscheinlichkeit eines günstigen Ausgangs sehr hoch ist. 

Eine Frage, die sich auch auf medizinische Maßnahmen ausweiten läßt, und seien es Impfungen oder bestimmte Untersuchungen, deren politisch-hygienische Wirksamkeit auf Wahrscheinlichkeitsannahmen beruhen, die Verlagerung eines individuellen natürlichen Risikos und Schicksals auf die Ebene einer mathematischen Lotterie heben.

Damit aber zählt auch nicht, wenn etwa Befürworter der Atomkraft mit der geringen Wahrscheinlichkeit von Unfällen argumentieren. Und die Transformierung unseres gesellschaftlichen Lebens auf unumgehbare Systemzwänge (in Finanzangelegenheiten oder bei der Energie), die bei Zuwiderhandeln den Totalzusammenbruch brächten, ist moralisch gleichfalls verwerflich.

Wir haben nicht das Recht, unseren Nachkommen die Erprobung alternativer Formen gemeinschaftlichen Lebens unmöglich zu machen durch den Einbau nicht-transformierbarer Sachzwänge.

Wenn wir heute also argumentieren, daß ohne ständig weitere Erhöhung des Risikos durch Schuldenwirtschaft, System-Komplexität und -Irreversibilität der Energieversorgung oder Festschreibung von staatsbürgerlichem Verhalten (political correctness), möglichst "auf ewig", unsere Staats- und Wirtschaftssysteme nicht zu erhalten wären, oder daß eine Konsumeinschränkung soziale Konflikte erzeugen würde, die vielleicht nicht gebändigt werden könnten, so sagen wir damit direkt: 

Um in den nächsten 30 Jahren nicht unseren Konsum einschränken zu müssen, unterwerfen wir für Jahrhunderte oder gar Jahrtausende die kommende Generationen dem Zwang, ihre Gesellschaftssysteme so zu gestalten, daß es die von uns geschaffenen neuen Gefahrenquellen unter Kontrolle zu halten vermag. Diese Zumutung kann auf keine Weise gerechtfertigt sein! (cit. Spaemann) 



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