Es stehe zu vermuten, schreibt die Kleine Zeitung, daß die weitgehende Dezimierung der Hai-Bestände in der Adria Ursache seien, daß sich die (giftigen) Stachelrochen dort vermehrten. Sie würden nun zunehmend auch in den Küstenregionen gesichtet, wo sie früher selten waren. Das sei so eben, in der Natur, resümiert der Artikel: Es gehe in der Natur um fressen und gefressen werden, und fehle ein Glied in der Kette, nehme das zuvor gefressene überhand.
Aber ist das wirklich so? Richard Woltereck (und mit ihm eine ganze Schule von Naturforschern, vor allem jenen, die sich mit der Erforschung von Biozönosen, also kleinen wie großen Natursystemen, befaßt haben) zeigt ganz klar: Nein. Fällt ein oberes Glied in einer Nahrungskette aus, so bedeutet das keinesfalls, daß sich die nächstfolgenden unteren grenzenlos vermehren. Vielmehr bleiben die Lebewesen in einem erstaunlich stabilen Verhältnis zueinander. Und zwar von beiden Richtungen her.
Ein Beispiel: dient der Nachwuchs bestimmter Krebse anderen Lebewesen als Nahrung, so läßt sich aus der Beobachtung der Systeme auf fast mirakulöse Weise schließen, daß die Krebse einen guten Teil ihrer Nachwuchsdichte regelrecht deshalb in die Welt setzen, UM als Nahrung zu dienen. Ist eine gewisse Größenordnung erreicht, die in einem Verhältnis zum Gesamt des Biotops steht, hört diese Produktion auf, und auch die Raubtiere von zuvor lassen die nunmehr zum Aufwachsen, zum Erhalt einer bestimmten Populationsdichte und vor allem einem bestimmten Verhältnis der Arten notwendige Brut in Ruhe.
Keineswegs also herrscht in der Natur das plumpe "catch as catch can", sondern die Verhaltensweisen aller Arten bezíehen sich auf noch unerforschte und vermutlich mit physikalischen Methoden unerforschbare Weise auf das Insgesamt des Lebensraumes. Die Forschungsrichtungen, die bis in die 1950iger Jahre auf "Feldtheorien" zuliefen, wurden durch unselige rationalistische Richtungen in den Naturwissenschaften aus dem Feld geschlagen. Aber daß diese alten Paradigmen des Darwinismus nicht stimmen KÖNNEN, die seither fröhliche Urstände feiern, ist mittlerweile vielfach belegt. Aber zum Durschnittsredner, für den Durchschnittsabsolventen der Universitäten, und schon gar für den Durchschnitt der Zeitungsleser, hat sich das noch nicht durchgesprochen.
Die Rochen vermehren sich also recht sicher nicht, weil ihnen nun die Räuber fehlen, die sie regelmäßig (und "leider" bzw. unfreiwillig) dezimiert hatten. Das Nachwuchs- und Nahrungsverhalten der Arten ist nirgendwo auf "möglichst viel" ausgerichtet, und orientiert sich nicht einfach am "Nahrungsangebot", bis halt nichts mehr da ist. Sondern auf eine bestimmte Stabilität des Erhalts ihrer Art. Sie reagieren nicht nach einem simplen mechanistischen Grundsatz des "soviel wie möglich". Sondern ihre Zahl bezieht sich auf ein Gleichgewicht in ihrem gesamten Lebensraum, in dem sie eine bestimmte Stelle einnehmen. Verändern sich einzelne Faktoren, so dauert zwar in der Regel bestimmte Zeit, bis sich die einzelnen Teile wieder aufeinander abgestimmt haben, aber sie haben das seltsame Ziel, sich aufeinander abzustimmen.
Der plumpe darwinistisch-mechanistische Ansatz trifft also auch hier nicht zu. Warum deshalb die Rochen zunehmen? Das weiß gar niemand. Erstens ist schon einmal nicht sicher, daß sie überhaupt zunehmen. Es scheint nur so, weil sie nun vermehrt in Küstennähe auftauchen. Angeblich. Aber warum das so ist, und was das für das Gesamtsystem Adria bedeutet, kann gar nicht gesagt werden. Auf jeden Fall sind solche darwinistischen Spekulationen ein Unsinn. Mit anderen Erklärungsmodellen würde man gewiß viel weiter kommen. Dann könnte man vielleicht auch haltbare Aussagen treffen, wie sich das Reduzieren der Haie - sofern es überhaupt in einem unausgewogenen Verhältnis zu den Lebensbedingungen in der Adria als Ganze steht - im Einzelnen auswirkt. Denn ihre Bejagung ist gewiß nicht ohne Auswirkung auf ihr Nachwuchsverhalten geblieben. Sprich: Werden sie nicht bejagt, bedeutet das alleine noch lange nicht, daß sich ihre Gesamtzahl vermehrt. Und umgekehrt.
Und: Alle diese Faktoren interagieren mit jenen Systemen, in die sie selbst eingebettet sind, mit denen sie sich sehr komplex berühren, die aber jeweils für sich bestehende Systeme mit eigenen Erhaltungsharmonien sind.
Der Verfasser dieser Zeilen geht also davon aus, daß auch viele der Aussagen über den Zustand der Weltmeere, die Basis für vielerlei politische oder regulative Entscheidungen bilden, falsch sind. Weil ihnen Parameter zugrundeliegen, Annahmen, die so gar nicht stimmen. Weil er auch glaubt, daß die Überlebensfähigkeit der Arten in ihrer Eigenreaktion in mechanistischen Modellen bei weitem unterschätzt, in anderen Bezügen überschätzt wird. Samt der daraus folgenden Fehleinschätzung der Möglichkeiten und Dimension menschlichen Handelns. Schon eine Rückkehr und Bescheidung auf regionale Prozesse würden vermutlich wahre Wunder an neuen Erkenntnissen wirken. Aus verfehlten Paradigmen ergeben sich auch verfehlte Aussagen über Gleichgewichtsbezüge. WAS wir in der Natur sehen folgt nämlich dem, ALS WAS wir sie sehen.
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