Die dramatischen Formen sind "Erkenntnis- und Reifungsmaschinen". Maschinen, um aus bestimmten Lebenssituationen die Hintergründe herauszukeltern, zu destillieren. Wie in einen Experimentierkolben füllt man eine Situation in eine Eprouvette, und hält diese dann über den Bunsenbrenner. Und schaut zu, was am Ende herauskommt, wenn das Wasser verdunstet ist, was am Boden der Eprouvette übrigbleibt. Das, was in der Flüssigkeit aufgelöst, das hat ihr diesen eigenartigen Geschmack gegeben, man erinnert sich nun.
Deshalb muß man, will man sie verstehen, bei dramatischen Formen (als überhaupt alle Formen in der Kunst) immer schauen, wie eine Zeit ist. Darin kann man dann deren Mechanismen erkennen, nach denen als Stein der Weisen gesucht wird. Denn muß man nicht auch danach suchen, ob eine Zeit dieselben Mechanismen anwendet, um den Menschen im Leben zu läutern? Ist nicht das Leben selbst diese Läuterungsmaschine, die am Ende das Reine, Pure herausbringen soll?
Die Verweigerung der Formen in der Kunst hat somit mit der Verweigerung der Läuterung zu tun, die das Merkmal der Gegenwart ist. Als Verweigerung des Lebens, soll das bloße "Bleiben", zu dem die Leben heute werden, dennoch "gelten".
Und tatsächlich geht es ja ums Gelten, in allen Disputen und Streits der Geschichte der Gegenwart: Es geht selbst in der Verweigerung der dramatischen Form in Gott (wie im Heidentum, wie in der Esoterik; alle sie kennen diese Läuterung der Geschichte nicht, weil das Endziel fehlt, und weil das Vertrauen in die Mechanismen des Seins - das ist ja Geschichte und Fortgang der Geschichte - fehlt.
Fazit bleibt, daß sich Kunstformen und Weltformen als jene gültigen Mechanismen, die den Menschen zur Erfüllung der Zeitideale führen sollen, immer deckungsgleich sind. In doppelter Hinsicht. Weil auch die Kunst den Menschen das bringen soll, nur auf dem direkteren, rascheren Ersatzwege, das das Leben vielschichtiger, weniger pur, weniger rein und weniger leicht zu entschlüsseln für einen bringt. Und - es bringt für jeden die Läuterung. Weil jeder Mensch nur deshalb lebt, weil er seine Geschichte mit dem Sein hat.
Somit ist die Schaffenserfahrung auch die, daß man erfährt, wie sich die Erkenntnis (als Erweiterung, hin zum Einen, in dem alles enthalten ist) in der Befolgung der Formenmerkmale ergibt. Man muß sonst nichts mehr tun als dem ästhetischen Empfinden nachzugehen. In diesem Wissen, das dann das Vertrauen gebiert, wird tatsächlich Erkennen zur Frage, ob etwas ... schön ist. Die sich nur sinnvoll beantwortet (weil die rein oberflächliche Frage nach dem "wie gefällt es?" bei weitem übertroffen wird; jene ist im Grunde völlig wertlos) wenn und soweit die Tugend des Gehorsams ausgebaut ist.
Und im Einzelnen lebt dieses Wissen. Lebt das Wissen darum, daß das Ringen um Wahrheit in einem Gespräch (sagen wir) die Frage um das schönere Bild ist. Die Frage ist, wer von den Gesprächsteilnehmern die Farben und Formen des Gesamtbildes am besten trifft. Insofern ist die Rede von "ich kann es nicht ausdrücken" keine Frage nach einer momentanen zufälligen Fähigkeit (oder nicht), sondern die um die Reinheit zur Sicht des Bildes der Wahrheit.
Hört nicht jeder, wie in der Sprache des Wahrhaftigen der Grundton dem Ton des Alls identisch, ja dieser ist? Der in jeder der physischen Ebenen seine Entsprechung hat. Als Farbe, als Geruch, als Klang, als Gedanke, als Gefühl und Empfinden ... Und als Gedicht, als Gemälde, als Aufsatz, als Komposition und Lied, als Stimme, als ...