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Sonntag, 11. Juli 2021

Vermeidung der Selbstrettung - Zwischen Aufklärung und Dogmatistik

Man könnte sich schon die Frage stellen, ob - und warum - es in Frankreich, wo man in unseren Ländern gerne die Aufklärung* im 18. Jahrhundert beginnen läßt, nicht zu Gegenbewegungen gegen die Aufklärung gekommen ist. Denn wenn man an einem keinen Zweifel haben kann, dann daran, daß es speziell in der Kirche Stimmen und Denker gegeben hat, die so auf die Wahrheit geeicht waren und sind, daß sie buchstäblich das Gras wachsen hören. Also aus kleinsten Abweichungen im Anfang von Entwicklungen die Konsequenzen bei ausgewachsenem Phänomen vorhersehen können. 

In diesem Fall hätte man die Einflüsse aus England herüberkommen sehen müssen. Denn von dort ging der Umsturz der abendländischen Denkwelt aus, das heißt- auch gar nicht von dort, sondern von Amsterdam, wo - die Niederländer hatten die Rebellion gepachtet, und alles, was rebellieren wollte, floh dorthin, einschließlich der Juden Spaniens - alles gedruckt werden konnte, wurde dort gedruckt. Und von dort aus vor allem nach England geschifft. Wo man im stürmischen 17. Jahrhundert, wo es immer wieder Spitz auf Knopf stand, ob sich nicht doch der Katholizismus wieder reetablieren würde können, die Wirksamkeit in Massen gedruckter Schriften endgültig entdeckt und etabliert hatte. 

Das heißt, auch nicht von Amsterdam, sondern in seiner geographischen Eigenschaft, der Rheinmündung eingeschrieben zu sein. Und von dort kamen die Ideen, rheinabwärts, weil aus der Schweiz, dem Land der Calviner. Womit wir, gehen wir gegen den Strom, in Zürich und, nach einigen Kilometern durch die Täler der Westalpen, im französischen Geneve sind. Und womit wir erneut... in Frankreich wären. Wo man im 17. Jahrhundert die Calviner (Hugenotten) schwer verfolgt hat. Diese gottlose Geisteshaltung wollte nur der Preußenkönig, dem nützten sie, seine wurzellosen Ideen umzusetzen.

Aber in Frankreich schäfte sich zu jener Zeit eine Riege hervorragender Köpfe an den drängenden neuen Entwicklungen. Die wie überall als Form des Protestantismus dort auftraten, wo Dummheit sich zur Klugheit aufschwingen wollte indem sie nur anerkennen wollte, was in ihrem eigenen engen Köpfchen halt Platz hatte. Und so wuchs in Frankreich eine neue Schule der Spiritualität heran, die in hervorragenden Köpfen wie dem Kardinal Pierre de Bérulle kulminierte. Bis ins 19. Jahrhundert war Frankreich durch seine Köpfe die Hocbburg der Verteidigung des Abendlandes ebenso, wie die seiner Zerstörer. 

Bérulle war das, was man existentieller Katholik nennen könnte. Er hatte sich also nicht in einem erstarrten Thomismus fangen lassen, sondern auch die gigantische geistige Größe des Aquinaten in seiner Wesentlichkeit erfaßt. In der sich die Wahrheit aus einem Dasein in die Welt verströmte, in dem sich jeder Augenblick einer Abhängigkeit verdankt weiß, die keinen Atemzug außerhalb Christi zuläßt. Und deshalb in jedem Augenblick gefährdet sein kann, aber die Klippen der psychologisch oft höchst subtil angelegten Selbstrettung erfolgreich umschifft. 

Wird fortgesetzt.


*Die Aufklärung läßt man gerne mit den Gesellschaften der "Encyclopädie" beginnen. Als man also meinte, damit beginnen zu können, das gesamte Wissen der Welt, weil es uns ja nun vorliege, aufzuschreiben. 

Wobei: Nicht einmal diese Idee stammt von ihnen. Die Idee (freilich mit ganz anderer Orientierung) stammt vielmehr von dem spanischen Theologen Isidor von Sevilla, der das Unterfangen bereits im 7. Jahrhundert in 20 Bänden auf die Beine stellte. Aber lassen wir das, was jeden Aufklärer bis ins Herz schmerzen müßte, denn nicht einmal das ist "seine" Idee. Selbst den heidnischen Römern war sie nicht unbekannt. Der Überlieferung nach erste Enzyklopädie als Sammlung menschlichen Wissens ist im 2. Jahrhundert v. Chr. entstanden, doch ist sie verloren gegangen. Varro hat aber ebenfalls eine verfaßt, und sie ist überliefert. Und auch der fein zu lesende Plinius d. Ältere hat eine verfaßt, auf die sich Isidor sogar häufig bezieht, wie es überhaupt regelmäßig zu neuen Anläufen in der Geschichte gekommen ist, die oft genug eine auf der anderen aufgebaut war. Nur die Aufklärer, die räumten ab, und wir fressen bis heute aus ihrer Schüssel voller Sägespäne und Haferschalen.  

Tja, wie alle Aufklärer, wie alle Protestanten, wie alle alle ... scheitern sämtliche Aufklärer genau aber dadurch. Daß sie ihr Leben als Replik auf etwas verstehen, das nur durch ihr Nichtwissen "besteht". Denn nur der Dumme glaubt, er sei der erste, der von allem wüßte. Hätten aber die Aufklärer die Kirche, hätte Luther die katholische Theologie gewußt - sie alle hätten niemals den Mund so voll genommen und die Welt neu zu erfinden geglaubt. So haben beide gegen Zustände rebellieren wollen, die überhaupt nicht so waren, wie sie jenen unterstellt hatten. Die in der - kritisierten - Kirche sogar viel besser, treffender umfassender (en-cyclo-paideia) zu finden waren, als ihr "Gegenvorschlag" das vermochte.

Und hätten alle die Enzyklopädisten die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla gekannt und seine Artikel verstanden, sie hätten sich in Grund und Boden geschämt. Weil dieser Vorläufer schon im 7. Jahrhundert (als Isidor 631 verstarb, fehlten ihm noch einige Teile, die aber bald von anderen Autoren angefertigt wurden) noch heute so großartig anzusehen ist, daß es erst recht vor fünf- oder dreihundert Jahren keine neue Form gebraucht hätte, weil die alte noch längst hinlangt, um als gültige Ordnungsschale der Welt mit weiteren Inhalten gefüllt zu werden. Es gab sie nachweislich in Europa in 1.000 Exemplaren. Und sie wurde dennoch erst 1952 ins Spanische übersetzt (vielleicht lag es ja bei den Aufklärern daran, am Latein?), und erst 2005 ins Englische. Etwas früher war eine Übertragung ins Deutsche zu finden - 1998. 

Erst so wenige Jahre also ist uns dieses Werk in unserer Alltagssprache zugängig. Erst so kurze Zeit können wir diesen Versuch bewundern, die Welt aus den Begriffen (ihr ursprünglicher Titel war sogar "Etymologia", also eine Erklärung der Worte und ihrer Herkunft) zu erklären. Was ohnehin die vielleicht einzige Art ist, sie zugängig zu machen. Denn jedes Verstehen ist doch nur das Erklären eines Wortes durch andere Worte. 

Was aber keineswegs so sinnlos (weil infinit) ist, wie es scheinen könnte! Weil die Welt aus einem Wort entstand, das alle übrigen Worte in sich barg. Und so wird dieses großartige Gebäude der Schöpfung von Worten aus Worten aus Worten ... aus dem alles enthaltenden Wort selbst gebildet wie getragen, und so nimmt der Mensch in der Sprache (und damit im Denken) auf dieser Ebene an der Herrlichkeit Gottes selbst teil. 


050721*