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Mittwoch, 21. Juli 2021

Reformation als Bildungsnotstand

Im Grunde ist die ganze Reformation der Ungeduld Martin Luthers, also dem Ausfluß eines sittlichen Defekts, somit eines Tugendmangels, zuzuschreiben. Die dann mit den Jahren scheinhalber von einer Theologie überlagert wurde, die in nichts bestand als in einem rationalistischen, sophistischen Herausgreifen und Fortführen von theologischen Sätzen, die Luther in Erlangen zum einen zu wenig verstand, die er zum anderen mit Recht ablehnen mußte, weil sie einfach falsch oder Aberglaube waren. 

Es ist dies eine Ungeduld die jene haben, die der Wirklichkeit des Seins zu wenig vertrauen. Und sie tun dies vor allem deshalb, weil sie sich einerseits zumuten, ihre Vernunft selbständig darauf auszurichten, und anderseits die Verknüpfung zur religiösen Haltung übersehen. Die die Indefektibilität der Kirche nicht in einer utopischen "Reinheit" des faktischen historischen Zustands erkennt (denn dort ist sie nicht, nicht bis zum historischen Zweiten Wiederkommen Christi und der darauf folgenden Neuen Schöpfung), sondern in jener Wirklichkeit des Seins, in der alles Faktische auf eine nicht immer leicht zu erkennende, subtile, aber umso wirklichere, kräftigere, unüberwindlichere Weise zusammengehalten wird.

Einer Wirklichkeit, die in ihrer Gesamtheit und Vorsehung ganz Gott gehört, und deshalb immer dem Heil der Welt dienen wird. Auch wenn in der faktischen, zuständlichen Gegenwart die Kirche nach menschlichem Ermessen "unrettbar verloren" ist. 

Aber das ist eben menschliches und weltimmanentes Denken, und nicht jenes Denken, das ein Teilnehmen am Wissen Gottes ist, in der die Kirche als Gesamtheit der Getauften, als Neues Jerusalem, als Leib Christi, das Heil selbst für die Menschen darstellt. Wer ihr zugehört nimmt Anteil am Himmel, ist an jenem Ort, der dereinst die gesamte Schöpfung - Schöpfung, Welt und Paradies sind dann ein Synonym - auf ewig sein wird.

Es geht also um die Geduld, dem Handeln Gottes weil der Wirklichkeit der Kirche zu vertrauen. Die immer unser Planen und Vorstellen übersteigt. Das ist ein entscheidender Punkt des Glaubens und der Glaubensprüfung, und die Getauften sollten nicht vergessen, daß es diese Zustände sind, in denen sich Glaube erst bewähren und somit der Gnadenzustand wachsen, sich in der Welt und Gegenwart realisieren kann: Erst so wird Kirche real!

Luther fehlte eine solide theologische Schulung, und er begriff nicht diese Wirklichkeit der Kirche. Nach der ihm durchaus dürstete! Aber dieses Wissen, dieser Glaube, diese Theologie fehlte bereits ganzen Generationen von Klerikern und Prälaten. Was schon alleine die liturgischen Abweichungen und Mißbräuche, die überhand genommen hatten, verständlich machen würde, kämen nicht noch jene Umstände dazu, die - sehr ähnlich der Gegenwart! - die Kirche zum idealen Ort der Schwachen und Sündigen gemacht hat. Lex orandi - lex credendi (gilt auch umgekehrt), und schon hat man auch eine abgefallene Gemeinde. Denn die Herrschaft der Mittelmäßigen (und das heißt: der Schlechten, in der Ochlokratie) war allgegenwärtig.

Warum aber verstand Luther das Geheimnis der Kirche, warum verstand er von der Theologie zu wenig, denn nur Falsches wird er nicht gehört haben? Weil er das Zuwarten als Erkenntnisprinzip weil Glaubenskriterium nicht kannte und nicht erfahren hatte. Er sah deshalb nur noch die Fehler und das Versagen, und er wollte es gleich geändert wissen, verkannte also das, was die Kirche wirklich bewegt. Was einer Haltung des Hochmuts entspringt, die wiederum in der Überhebung über den (strengen) Vater gründet. Die zu einer mangelhaften Identifikation mit dem Männlichen führte.* 

Es stimmt deshalb graduell nur zum Teil, wenn Heinz Schütte in seinem (über weite Strecken freilich großartigen, außerdem nicht nur einflußreichen, sondern auf Leibniz'schen Spuren einer durchaus möglichen Wiedervereinigung von Protestanten und Katholiken wandelnden) Buch "Um die Wiedervereinigung im Glauben" schreibt, daß die eigentliche Ursache der Luther'schen Häresien in einer Gegenwehr gegen jene Häresien wurzelte, die das katholische Seminar, in dem Luther Theologie studierte, verkündete. **

Daß die Katholische Kirche einer Reformation bedurfte, daran kann niemand zweifeln, und daran zweifelte auch im späten 15., frühen 16. Jahrhundert niemand, der noch seine geistigen Siebensachen beisammen hatte. Und was sie in der Reformation (und man muß sagen: DEN Reformationen) erntete, hat sie selbst gesät. 

Also Antichrist hin, Antichrist her - selbst der Umstand, daß fast alle katholischen Bischöfe nur ein kleines Antippen brauchten, um auf die protestantische Seite zu fallen (worin sich die teutschen Bischöfe von den anglischen in nichts unterschieden; die inneren, strukturellen Parallelen und Zusammenhänge dieser beiden Reformationen werden gefließentlich übersehen) belegt, daß in der Kirche kaum noch jemand an das glaubte, was einzig jene Stringenz und logische Geschlossenheit des katholischen Glaubensgebäudes zum einen kannte, und zum anderen glaubte. 

Die Stunde der Retter von Kirche und Welt

Also traten sie auf, die Kirchenretter, wie sie heute auftreten. Und also traten sie auf, die Weltretter, die den seit dreihundert Jahren schwelenden Streit zwischen der Hierarchie von Welt und Kirche auf die Seite der Welt neigen sahen, und so treten sie auch heute auf, die Trittbrettfahrer und Emporkömmlinge, die ihre Stunde kommen sehen. Alle mit natürlich voll berechtigter Kritik an Mißständen, und alle mit der Frechheit, heimlich auch den Stuhl auf dem alle saßen weg- und unter ihren Arsch zu ziehen. 

Somit konnte (und wollte) bis auf ganz wenige Einzelstimmen auch niemand den Katholizismus verteidigen, und die Bevölkerung, alleine gelassen, ja verführt, entschied sich umso leichter zur "eigenen (!) Vernunft". Immerhin sind sämtliche protestantischen Überzeugungswahrheiten zum einen diesem subjektiven Dafürhalten entsprungen, bauen zum anderen aber auf dem auf, was man vorschnell als "einfacher Hausverstand" bezeichnet. Das in Wahrheit aber ein Leugnen des Überirdischen, Transzendenten als der Welt übergelagerte, aber reale Welt des Geistigen und Himmlischen, das über die Sakramente fix, über die individuelle Heiligung volatil mit der Erde verbunden war. 

Das sich aber vor allem im Sein einer unlösbaren Verbindung mit Gott bewahrte weil schon aus Vernunftgründen heraus notwendigen Verdankung des Seins (in der Welt) mit dem göttlichen Sein (Jahwe - "Ich bin der ist da"), in der Teilhabe also, in jedem Augenblick Gott verdankte. 

Aber innerweltlich "gedacht" (was schon alleine kein Denken ist, weil es seine eigenen Voraussetzungen vergißt, also im wahrsten Sinn "seinsvergessen" ist) ist der protestantische Ansatz leichter zu begreifen. Es ist in dieser Verkürztheit deshalb dem Un- und Verbildeten scheinbar logischer und einsichtiger. Schon gar, wenn ihm die Verwurzelung mit dem Boden, also das Vertrauen ins Sein, fehlt. Denn dann fehlt ihm auch das, was alle Menschen zu einen vermag. Ist doch die Erlösung die Bekehrung zu einem Menschsein, das alle Menschen gleichermaßen verloren haben, zu dem die Sakramentalität der Inkarnation Gottes aber verhelfen soll.

Und dazu hatten die Menschen (und damals schon gar die Bauer) allen Anlaß. Denn nichts war - zu allen Zeiten! - verachteter als sie! Für die Eliten waren im Spätmittelalter die Bauern nicht besser als das Vieh, ja noch schlechter angesehen. Weil ihm die Selbstverständlichkeit weil Instinktsicherheit des Viehs fehlte, der Mensch also noch straffer gezwungen werden mußte. Für die heutigen Eliten sind es zwar nicht mehr explizit nur die Bauern, aber alle, die nicht zu dem von ihnen ausgerufenen Gutmenschentum, einem Gleischschaltungsprogramm im Range einer Erlösungs- und Heilslehre, gehören.

Die Romantisierung des Bauern (als noch ins Traumland der Mythen eingebundener "Urmensch", der mit den Wirklichkeiten schlicht lebte, die die Erzählungen abbildeten, und die zu "hinterfragen" ihm nicht in den Sinn kam) wie sie in der Renaissance teilweise Programm war, vergrößerte diese Kluft zwischen realem Bauerntum und Menschsein noch eher, als daß sie sie verringerte. Diese Seite der Zeit Luthers bilden heute als prototypische Spitze die Grünen ab, die ebenfalls einem romantisierten Bild nachzugehen vorgeben, die wirkliche Wirklichkeit des Bauern aber nicht erfassen.

In der Frage der Wiedervereinigung der Kirchen ist also zum einen der wahre theologische Kern des Katholischen wieder deutlicher herauszuarbeiten und von Deformationen zu befreien. Um zum anderen dem Protestantismus eine vorbehaltlose Suche nach dem eigenen Kern zu ermöglichen, ohne ihn an die Wand notwendiger Selbstbehauptung zu drücken. So kann ein gemeinsamer Kern wieder sichtbar werden, der eine Wiedervereinigung zum logischen Schritt macht, und Gemeinsamkeit nur mehr feststellen, nicht "herstellen" muß. Denn dann ist sie Zustimmung zu dem, was auch der Katholischen Kirche nicht immer im Blickfeld lag, denn in dieser Richtung ist sie immer reformbedürftig. Dieser Kern aber ist dann das, was Gemeinschaft bedeutet.


*Wie so oft bei Bewegungen, die erst nur eine ANTI-Haltung sind, ein Selbstrettungsversuch inmitten einer mangelnden Adhäsion mit der Welt, die einen umgibt (das trifft für die Homosexualität nicht weniger zu wie für den Protestantismus) war es Kaiser Ferdinand II., der aus dem Lutherismus eine Bewegung konstituierte. Indem er sie als Richtung ansprach - und verbot. Damit hatte er einer Erscheinung Gestalt gegeben, die in Wahrheit nur darauf wartete, die Gestalt von dem zu erhalten, was sie kritisierte, durch Wege der Integration. 

**Schütte's Ansatz hat mit dem von Leibniz gemeinsam, daß sie nicht vom Trennenden ausgehen, sondern das Sein in den Aussagen beider Seiten hernehmen. Und darin hat dann eiderdautz der Protestantismus gar keine Unterschiede mehr zum Katholizismus. Nicht einmal in der Definition von Kirche, das ist das Überraschende, geht man die Frage von der Erlösung als Stellvertretung an. Und Luthers Kreuztheologie war ein subjektiv wahrhaftiges Ernstnehmen des katholischen Kreuzesverstehens, das aber niemand in die rechte Form bringen konnte. Als es dann versucht wurde, war Luther durch Trotz und echten Kadavergehorsam (zu seiner "Bewegung") so in Eigendynamik und Wundenfürsorge gefangen, daß ein Erkennen bereits unmöglich war. 

Aber Schütte geht den Ansätzen in beiden Lagern nach, und zeigt Punkt für Punkt, daß sie auf dasselbe Herz des Geheimnisses zielen, das letztlich jede Glaubenswahrheit ist. In der Frage der Wiedervereinigung von Protestanten und Katholiken geht es also vor allem darum, die Überbauten - die Theologie - zu durchforsten, um sie in ihrem Kern deutlicher zu machen. So wird das Gemeinsame wieder sichtbar.


*200721*