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Freitag, 10. September 2010

Alle sind jemand

Wie passend! - Nun hat die Kleine Zeitung, wohl als Kommentar zum Blogeintrag von vor zwei Tagen, eine Untersuchung präsentiert, wer sich denn in Österreich zum Mittelstand zähle. Und welch Wunder: Es sind 65 Prozent! Weitere 22 Prozent sind unentschlossen.

Als Mittelstand sieht sich nämlich hierzulande offenbar so gut wie jeder, der überhaupt in Beschäftigung steht. Mit (und wie typischen!) geschlechtsspezifischen Unterschieden: Frauen, ob in Dienstverhältnissen oder nicht, rechnen sich überhaupt gleich zu 82 Prozent zum Mittelstand, generell. Dafür gibt es niemanden, der sich als Repräsentant der Arbeiterklasse sieht. Insgesamt fühlen sich sogar lediglich 13 Prozent definitiv NICHT zum Mittelstand zugehörig.

Geht es um die Definition des Mittelstands, plädieren 47 Prozent dafür, materielle Kriterien anzulegen. Als Beispiel dafür werden etwa der Besitz von Gütern, die den eigenen Lebensstil unterstreichen, also etwa einen PKW einer bestimmten Marke oder ein der persönlichen Werthaltung entsprechendes Eigenheim.

So geht es natürlich auch: wer den neuen Audi geleast hat, und ein tüchtig mit Wohnbaugeldern gefördertes Eigenheim besitzt, hat es geschafft! Die Angst der Österreicher vor der gesellschaftlichen Geringschätzung wird ja nur noch übertroffen vor der Angst, jemand könnte die eigenen Gernegroßträume nicht unterstützen. Ein Land der Ingenieure, Regierungs-, Hof- und sonstige Räte, Manager und Führungskräfte, wirklich oder heimlich.

Oder es regt sich dann doch das schlechte Gewissen, weil ja seit Kreiskyschen Umverteilungszeiten ohnehin die Einkommen gerade der "Mittelschicht" im Lande wahllos und ungerechtfertigt hoch sind - als Wissen, daß man mehr besitzt, als einem zusteht, nämlich.

Während das, was man in der Soziologie (siehe unter anderem Max Weber) als Mittelschichte definiert, kaum noch existiert.

Wie gut aber für die Politiker, wenn sich die Bevölkerung so reich fühlt: das schreit doch nach Steuern? Und erzählt von bemerkenswerten Widersprüchen zu so manchem Wahlprogramm.

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Zur Angst der Österreicher vor Geringschätzung (als: zu wenig Autorität) eine kleine Anekdote, erzählt vom Enkel des letzten Kommandanten der österreichisch-ungarischen Flotte, unter welchem im Sommer 1917 bei Otranto die - man höre und staune - noch vor der Schlacht am Skagerrak größte (und wie die am Skagerrak ergebnislose) Seeschlacht des Ersten Weltkrieges geschlagen wurde. Besagten Enkel (die Namen sind mir entfallen) lernte ich in Wien als bereits betagten Mann kennen. Er war im Zweiten Weltkrieg, sowie danach, als Journalist (für die APA) tätig. In dieser Eigenschaft reiste er im Sommer 1945 mit dem amerikanischen General Clark in einem Eisenbahnwaggon durch Österreich, denn man wollte sich ein Bild von der Gesamtlage machen. Als Clark ihn ansprechen wollte, war ihm der Name entfallen, und er erkundigte sich bei seinem Adjutanten, wer sein Gegenüber denn sei. Der, bereits besser in der Behandlung der Österreicher bewandert, flüsterte ihm zu: "Call him 'Doktor', he is an Austrian!"
 

*100910*