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Donnerstag, 30. September 2010

Nicht nur in den Krieg gestolpert (1)

Erst war es nur eine enorme persönliche Leistung

Rathenau hatte eine schwere persönliche Krise, mitten im allgemeinen Taumel der Kriegsbegeisterung der Menschen, als der Krieg 1914 ausbricht. Hätte ich nur nicht hinter die Kulissen gesehen, schreibt er. Niemand weiß, warum wir diesen Krieg führen, schreibt er. Ein lächerliches serbisches Ultimatum, ein Stoß wirrer Depeschen - und auf einmal ist Krieg, schreibt er. Am meisten macht er sich Sorgen, weil dieser Krieg keinerlei - im Sinne Deutschlands - moralische Rechtfertigung mehr hat. Nicht wie jene von 1813, oder 1866, oder 1870.

Walther Rathenau
* 29.9.1867
+ 24.6.1922
Und er ist entsetzt über den Dilettantismus, mit dem die deutsche Führung in den Krieg stolpert. Die Rüstung ist völlig unvorbereitet - Rathenau organisiert erst bei Kriegsbeginn die Rohstoffversorgung der Rüstungswirtschaft, und das bei dieser Abhängigkeit von Importen! Die Außenpolitik in der Hand von lächerlichen Dilettanten, die Rüstung selbst dreißig Jahre wie neurotisch nur auf die Frage des Flottenausbaus konzentriert. Die Eliten degeneriert und unfähig, die immense Anzahl an nachdrängenden Talenten eines explodierenden Volkes ignoriert und als Leistungspotential ausgeschlossen. Ein Drittel der Bevölkerung - die Arbeiterschaft - faktisch vom Nationalbewußtsein "ausgeklammert", weil verachtet.

Er ist fassungslos, daß Deutschland einem - wie er es nennt - kriegslüsternen Österreich blinde Gefolgschaft bietet, was genau Österreich-Ungarn die Sicherheit gab, so leichtfertig (es war klar, daß Serbien das österreichische Ultimatum nicht annehmen konnte, wobei Serbien unerwartet sogar dazu noch bereit gewesen wäre) und ohne Konsultation mit Rußland einen Krieg vom Zaun zu brechen.

Und er ahnt - wie nur wenige - wie sich weltweit die Kräfte zusammenschließen, um eine gewaltige Kraft gegen Deutschland aufzubauen. Frankreich und England, dessen Imperium selbst gerade zerbricht, wissen um die wirkliche Schwäche Deutschlands, und sie fühlen sich enorm stark.

Und prompt beginnt der Krieg, wie Rathenau befürchtet hat. Sofort wird Deutschland isoliert und eingeschlossen, auf lange Frist "erwürgt", wie er es nennt, so daß schon nach wenigen Monaten erste Engpässe in der Rohstoffversorgung eintreten werden.

Es ist Rathenaus Verdienst - und das gegen den Widerstand vieler Militärbürokraten, die ihm, dem Juden, mißtrauisch begegneten, gewiß auch eine Ausrede, angesichts so vieler nun offenkundig werdender Versäumnisse - binnen dieser kurzen Zeit und historisch ohne Vorbild eine zentral gesteuerte, das ganze Land lückenlos umfassende Kriegswirtschaft organisiert zu haben, die Deutschland den Atem gab, den Krieg weiterzuführen.

Das machte ihn freilich nicht beliebter. Man siedelt ihn und seine Abteilung sogar in eine über Nacht am Gelände des Kriegsministeriums aufgestellte Baracke um.

Lebensmittel konnten ohnehin zu achtzig Prozent selbst hergestellt werden, hier verlangte es nur eine Rationierung. Sämtliche Rohstoffe und Industrieerzeugnisse wurden nun erfaßt und primär der Rüstung zugeführt. Luxusgüter wurden eingestellt, wenn sie rüstungsnotwendige Rohstoffe benötigten. Schwer beschaffbare Rohstoffe für Rüstungsgüter wurden entweder durch andere Produkte ersetzt, wo dies möglich war, oder durch neue Verfahren künstlich hergestellt. Okkupiertes Ausland wurde sofort in die Materialplanung mit einbezogen.

Aber die Militärs reklamierten schon im Oktober ein entscheidendes Problem, das eine Einstellung der Kriegshandlungen spätestens im Februar 1915 erfordert haben würde: Die Sprengstoffe!


Fortsetzung - Teil 2 - Der Beginn staatlichen Interventionismus als permanentes, ja eigentliches Mittel weil Ziel der Politik: 
Eine neue Wirtschaft für einen neuen Staat


*300910*