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Freitag, 1. Oktober 2010

Nicht nur in den Krieg gestolpert (2)

Fortsetzung von Teil 1

Der Beginn staatlicher Interventionen in freie Volkswirtschaften

Die Frage der Versorgung mit dem reinen Importprodukt Stickstoff war also dringlicher, als die des Mannschaftsersatzes, oder selbst der Strategie. Denn zu Kriegsbeginn war der für jede Art von Sprengstoff notwendige Salpeter - eine Stickstoffverbindung - für maximal ein halbes Jahr vorhanden.

Rathenau handelt augenblicklich. Selbst bei Kleinbauern wird (nur wenige Wochen oder Tage gar noch, und dieser Rohstoff ist unwiederbringlich in die Ackerböden eingearbeitet) jeder verfügbare Stickstoffdünger requiriert, und mit in Belgien zusammengekratzten Mengen zusammen schafft Rathenau die Versorgung wenigstens so lange zu sichern, bis völlig neu aufgebaute Fabriken nach neuen Verfahren Salpeter selbst herstellen. Diese Tat ist nach Auffassung der meisten Historiker eine der entscheidenden Kriegshandlungen!

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Freilich - Rathenau's "Kriegsgesellschaften" sind die erste Form eines deutschen Staatssozialismus, der die gesamte Wirtschaft zu einer Planbedarfswirtschaft zusammenfaßt, und erstmals in der Geschichte Deutschlands an der Stelle der privatkapitalistischen Profitwirtschaft entsteht.

Erst DADURCH, durch die nun mögliche Fortführung des Krieges gezwungen, folgen nach und nach auch die Alliierten, und gestalten ihre Volkswirtschaften ebenfalls nach ähnlichem Muster um. Bis sie sämtliche alliierte Volkswirtschaften - England, Frankreich, USA, Italien ... - in einen "Allied Maritime Transport Council" (denn ihr Problem ist nicht die Rohstoffaufbringung, sondern die Verteilung) zusammenfassen, und konzertiert steuern.

1917 und 1918 waren als Kriegsjahre schließlich ein Kampf der Volkswirtschaften geworden, nicht mehr ein Kampf der Heere. DAS war schließlich kriegsentscheidend: daß es Deutschland nicht gelungen ist, die Lebensadern der alliierten Bedarfswirtschaften zu durchschneiden. Besonders 1917, am Höhepunkt des U-Boot-Krieges Deutschlands, stand der Krieg aus Nachschubgründen auf des Messers Schneide! 

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Immerhin haben diese Erfahrungen die Politiker weltweit ein völlig neues Verhältnis von Staat und Marktwirtschaft entdecken lassen. Scheinbar funktionierte die Wirtschaft auch so, als quasi Selbstverwaltungsgesellschaften, gesteuert von staatlichen Stellen?! Mehr und mehr fielen Berührungsängste, deutlich stärker als bisher in die Volkswirtschaften einzugreifen. Bis in den 1930er Jahren überhaupt erstmals staatliche direkte Eingriffe in kapitalistische Volkswirtschaften auch zu Friedenszeiten gewagt wurden. Gewagt deshalb, weil als Kern des Kapitalismus bislang die Selbststeuerung der Märkte angesehen worden war. Und fortan wurden staatliche Interventionen zum gewohnten Mittel der Politik, beginnend mit den USA, und Deutschland. Heute wird diese Politik weltweit betrieben.


Fortsetzung - Teil 3 
Der interventionistische Sozialstaat als konkrete Frucht des Krieges



*011010*