Dieses Blog durchsuchen

Mittwoch, 20. Oktober 2010

Leben als Schadensfall

Das Sorgerecht wie die Sorgepflicht der Eltern beruht auf dem ursächlichen Zusammenhang des Menschen (bzw. jedes Seienden) mit seinem Hervorbringer. Sprich, wer mich gemacht hat, der übernimmt damit gewisse Verantwortungen, aber auch Rechte. Jeder Mensch verdankt sich also jemandem, wobei dies letztlich in einem Unsagbaren verschwimmt, denn die Zeugung neuen Lebens ist ein "Nebeneffekt" (!) personaler Hingabe, wenngleich nicht abtrennbar (und genau darum geht es ja in der Verhütungsdiskussion) weil Teil eines Ganzen.

Robert Spaemann führt diesen Gedanken auf einen logischen Punkt: Wenn die pränatale Diagnostik die Entscheidung für oder gegen einen Menschen zur Voraussetzung hat, so ist in diesem Fall nicht nur ausjudiziert, daß der Arzt quasi die Verantwortung für einen nun "doch" geborenen Menschen, der behindert ist oder sich so fühlt, trägt, sondern wenn dieses Dasein sich auch noch einer in-vitro-Entstehung "verdankt", wird der Hersteller - denn hier ist es ein solcher, kein Erzeuger - gleichfalls rechenschaftspflichtig.

Damit wird die eigene Existenz, sobald sie mit Leid konfrontiert ist, zum "Schadensfall", weil die Selektion - und sie findet bei dieser Form der "künstlichen Befruchtung" statt - auch Kriterien verlangt, über die Rechenschaft zu legen ist, und damit eine neue Dimension der Verantwortung (an einen Ort, wo sie gar nicht hingehört, nämlich) aufreißt. Sieht man von einer bemerkenswerten Ungleichheit der Menschen ab, die nun entsteht: hier die Gezeugten, dort die Gemachten.

Erschreckenderweise sind wir im selbstverständlichen Handeln der Menschen bereits dort angelangt. Wo das Leben als Ablauf definert wird, der von falschem Handeln der Mitwelt deformiert wird, sodaß diese für die Folgen aufzukommen hat. Es ist weiterhin mehr als naheliegend, daß in einer landläufig betriebenen Praxis der Empfängnisverhütung gleichfalls "zufällig" und ungewollt (!) entstandenes Leben zum Schadensfall wird.

***

Zwanzig Jahre war jener Embryo eingefroren, der dieser Tage, aufgebaut und in eine Frau eingepflanzt, als Baby geboren wurde. Zwanzig Jahre Hölle, unendliches Leid verhinderter Lebenswirklichung, unartikuliert und wahrscheinlich unartikulierbar (denn welcher Zeitgenosse wird ihn verstehen können? Gefängnisinsassen, Gelähmte, wohl noch am ehesten?), hat dieser Mensch erlebt. Was wird wohl aus ihm werden? Welche Welterfahrung liegt seiner Art, auf die Welt zuzugehen, zugrunde!?

 
*201010*