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Mittwoch, 20. Oktober 2010

Vielleicht muß man es ganz anders sehen

Die FAZ schreibt - begleitend zum Staatsbesuch von Präsident Wulff in der Türkei, ein Schelm, wer deshalb Arges dächte, bei Artikeln, die "die Angst vor der Türkei" so offenbar und bemüht "nehmen" sollen - über die Tatsache, daß sich das Bevölkerungswachstum der Türkei verlangsame
Hätte man noch vor wenigen Jahren vor einem heranwachsenden Giganten Türkei, mit hundert bis hundertzwanzig Millionen Einwohnern gerechnet, so sei diese Angst unberechtigt. Mit ihren derzeit dreiundsiebzig Millionen Einwohnern habe die Türkei ihr Bevölkerungswachstum auf unter zwei Prozent eingeschliffen.

Und zwar weil der Westen, die Gegend um Istanbul, die ja ein Drittel der Türken ausmacht, im Gleichklang mit westlichen Entwicklungen (Wohlstand bringt Geburtenminus) längst eine auch westlichem Standard angepaßte Geburtenrate aufweise. Nur der Osten (Karte), das Bergland von Anatolien, dort wohnten sie noch, die Massen, dort herrschte noch der Geburtenüberschuß. Aber leider, leider auch mit dem Wertmutstropfen: der Westen, der ja so gerne seinen sich abzeichnenden Mangel an Facharbeiten mit türkischem Bevölkerungsüberschuß decken würde, träfe da auf völlig ungebildete Bevölkerungsteile, oft ohne jede Schulausbildung.

Nun wollen wir uns einmal diese menschenverachtende Diktion auf der Zunge zergehen lassen: Unsere Industrie will den Facharbeitermangel mit türkischen Bevölkerungsmassen decken. Eigentlich sollte man solche "Industrie" sofort des Landes verweisen, die dann auch noch von Steuergeldern ihre Anteile verlangt, um überhaupt überleben zu können, und kaltlächelnd Fremdarbeiter zu Sklavendiensten importiert, die Sozialprobleme im Gepäck haben, die dieselbe Industrie bald bewegt, ihre Produktionsstätten überhaupt in lohnschwächere Gebiete, in China oder Thailand, zu verlegen.

Es fällt aber auf, daß die Türkei offenbar konzentriert daran arbeitet, eigene soziale Probleme zu exportieren. Der Aufruf des türkischen Präsidenten an seine eigenen Landsleute, sich in Deutschland gut zu integrieren, kommt ja nicht von ohngefähr. Warum macht man das? Da muß man nur weiterdenken, als bis zur ersten, eigentlich nur rhetorischen, gewöhnten Antwort.

Das alles ist aber nicht neu, und war jahrzehntelang Inhalt europäischer, ja weltweiter Außenpolitik. Nun sollen diese Menschen offenbar - unter völliger Mißachtung des abendländischen Bildungsbegriffs! - mit Hochleistungskursen zu Handlangern europäischer Industrie vergewaltigt werden.

Das legt den Verdacht nahe, daß die Verdächtigen nicht einfach die üblichen sind, sondern daß es sich um ein völlig anders gelagertes Problem handelt: Wo eine Kultur, die nicht mehr besteht, die sich selbst zugrundegerichtet hat, im verfluchten Laster der Jahrzehnte 1970 folgend endgültig alles in den Boden gestampft hat, nun von einer Kultur, die schon Jahrhunderte keine mehr ist, gemäß dem Gesetz der Osmose, aufgesogen wird. Da herrscht auf beiden Seiten nicht die Hoffnung auf eine frohe, gute Zukunft, die haben beide Seiten nicht mehr vor sich - da klammern sich zwei Ertrinkende aneinander. Das Christentum ist (als Religion in der historisch bekannten Form) tot, der Islam ist längst tot. (Der "Islamismus" hat im Christentum in den "Erneuerungsbewegungen" sein Pendant, beides sind aufgrund ihrer seelischen Strukturen Todeserscheinungen, vergleichbar der "Seele", die vom Leichnam verduftet.)

Was will man da erwarten? Hat man nicht diese Generation - und zum Bespiel Strache, Wilders etc. sind "diese" Generation - schon aus den Elternhäusern her in die Irre geführt, und läßt sie nun mit peripheren Problemen kämpfen, sich aufreiben, während die Schuldigen ganz woanders sitzen, und nur noch hoffen, die paar Jahre bis zu ihrem Ableben halbwegs zu überstehen?

Nein, nein, da braucht es einen völlig neuen, anderen Ansatz. Den gilt es zu finden, und in Politik - die nicht nur eine, die eigentlich schuldhafte, die zwei Stufen, auch die der Zurkenntnisnahme des Tatsächlichen, zu spät ist - umzusetzen. Wundengelecke ist Zeitverschwendung. Da ist etwas anders im Gange.

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Ein Kontinent, Europa, dessen geistige Wurzeln wegbrechen und verfaulen - Griechenland - und der dafür von denselben Kräften bestimmt wird, die jener Geist als voluntaristisches, moralistisches, positivistisches Konzept (das immer in Konflikt mit dem Holismus der Griechen stand) Gepräge überwand und klein hielt (im 6. Jahrhundert definitiv) - als Rückkehr also.

Was gemeint ist? Die Etrusker, aus denen heraus sich Rom entwickelt hat, kamen aller Wahrscheinlichkeit nach aus eben jenem geographischen Raum, der nun erneut, in einer Völkerwanderung, Europa durchwirkt. Sie waren matriarchalisch, wie es die Anatolier bis heute sind. Nun steigt Europa auf exakt diese Stufe zurück, nein, sammelt sich dort, wo es nichts mehr zu sammeln gibt, denn diese Stufe heißt Formlosigkeit, heißt technizistische Auflösung der Lebensprozesse, und heißt, chthonisch - archaische Religiosität.

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Die Gegenwehr gegen die einwandernden Türken könnte (zumindest: auch) eher mit jenem Verhalten zu vergleichen sein, wo man am anderen exakt jene Schwächen haßt, die man selber hat.
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Und haben wir nicht in der Art, wie die Türken hier ihr Dasein fristen, nicht nur die Früchte dessen, was wir selbst als Lebensform provoziert haben? Wer durch Berlin geht, könnte den Eindruck haben, daß die Berliner selbst jene formlose, verwahrloste Lebensform wollten. Berlin sieht über weite Strecken aus, wie ein einziger Slum - aber nicht "nur", weil dort so viele Ausländer wohnen. Die Einheimischen selbst scheinen so leben zu wollen - ortlos, heimatlos, nur noch auf die Deckung momentaner und spontaner Bedürfnisse ausgerichtet.

 
*201010*