Thomas Kuhn zeigt in "Die Entstehung des Neuen: Studien zur Struktur der Wissenschaftsgeschichte", daß es ein die Neuzeit begründender, aber erfundener Mythus ist zu meinen, die Wissenschaft würde, wie auf einer Jakobsleiter, höher und höher steigen, von Erkenntnis zu Erkenntnis, jede Stufe nach strenger Prüfung und schwerer Forschungsarbeit weiter erobernd. Mitnichten ist das so, das ist eine Fiktion. Und Ludwik Flek zeigt, welche Vorgänge in Wirklichkeit (an der Syphilis) stattfinden. Flek nennt dies "historischer Denkstil", der aus einem dichten Geflecht aus gesellschaftlichen, historischen und persönlichen Strömungen und Vorgängen entsteht. Wissenschaftlicher Wandel ist keineswegs ein Fortschrittsprozeß, eine Akkumulation von Wahrheit.
Für Veränderungen wissenschaftlicher Ansätze ist das Bild vom Recht des Stärkeren viel angemessener. Veränderung in der Wissenschaft ist nämlich der Verdrängung gleich. Meist trifft nicht einmal das zu, daß eine neue Theorie mehr erklären könnte als die alte, also (ohne Wahrheitskriterium) einfach fruchtbarer sei. Die Gründe für solchen Wandel liegen auf ganz anderen Ebenen.
Widerlegungen im eigentlichen Sinn, so Spaemann in "Die kontroverse Natur der Philosophie", gibt es gar nicht, und die Frage, wann ein Paradigma durch ein anderes abgelöst wird, ist eine Frage, bei deren Entscheidung pragmatische Gesichtspunkte, aber auch persönliche und gesellschaftliche eine Rolle spielen. Daß etwas veraltet ist, besagt danach gar nichts mehr darüber, ob es gut oder schlecht, wahr oder falsch ist. Es ist eher ein Einschüchterungsvokabel.
*131010*