"Die Entstehungsgeschichte eines wissenschaftlichen Begriffs könnte jenem Erkenntnistheoretiker gleichgültig sein, der glaubt, daß zum Beispiel die Irrtümer eines Robert Mayer gar keine Bedeutung für den Wert des Energieerhaltungssatzes hätten.
Dem ist zu entgegnen: Erstens gibt es wahrscheinlich keine vollständigen Irrtümer, so wenig wie vollständige Wahrheiten. Es wird sich früher oder später eine Umarbeitung des Energieerhaltungssatzes als notwendig erweisen - und dann wird man vielleicht an einem verlassenen "Irrtum" rück-anknüpfen müssen.
Zweitens, ob wir wollen oder nicht, wir können nicht von der Vergangenheit - mit allen ihren Irrtümern - loskommen. Sie lebt in übernommenen Begriffen weiter, in Problemfassungen, in schulmäßiger Lehre, im alltäglichen Leben, in der Sprache und in Institutionen. Es gibt keine generatio spontanea der Begriffe, sie sind, durch ihre Ahnen sozusagen, determiniert. Das Gewesene ist viel gefährlicher - oder eigentlich nur dann gefährlich - wenn die Bindung mit ihm unbewußt und Unbekannt bleibt."
"Es ist ein Wahn zu glauben, die Geschichte des Erkennens habe mit dem Inhalte der Wissenschaft ebenso wenig zu tun wie die Erfindung des Telephonapparates mit dem Inhalt der Telephongespräche: Wenigstens drei Viertel und vielleicht die Gesamtheit alles Wissenschaftsinhaltes sind denkhistorisch, psychologisch und denksoziologisch bedingt und erklärbar."
Ludwik Fleck, in "Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv"
*291010*