Dieses Blog durchsuchen

Samstag, 2. Oktober 2010

Nicht nur in den Krieg gestolpert (3)

Fortsetzung von Teil 2


Der interventionistische Sozialstaat heutigen Zuschnitts beginnt wie ein Zufallsprodukt: Als eine Frucht des Krieges

Rathenau sieht aber in den Auswirkungen der Kriegsereignisse 1914-1918 den lange erhofften Durchbuch seiner Ideen und Hoffnungen: denn nach seiner Ansicht hat der Krieg bewirkt, daß die Arbeiter dem Mechanismus der Maschinenwirtschaft entkommen sind, indem sie ein transzendentes Ziel - Krieg und Sieg - hatten. Das, so Rathenau, ist der Beginn der Seele, als die eigentliche Berufung des Menschen. Die Kriegsereignisse selbst sieht er als maßgeblich dafür, daß ein Gesinnungswandel beschleunigt wird, der eine staatlich gemessene Volkswirtschaft gutheißt. Für Rathenau in der Befreiung des Arbeiters vom Zwang der Not DER Grundstein eben jenes höheren Lebens, der Seele. Der Sozialstaat heutigen Zuschnitts ist geboren.

Rathenau sieht drei Faktoren, die dies begünstigen:

  1. die Verächtlichwerdung des Reichtums in der öffentlichen Meinung (oft in Gestalt des Antisemitismus), begleitet von einem wachsenden Verantwortungsgefühl
  2. fortschreitende Entpersönlichung des Besitzes in der Wirtschaft durch das Ausbreiten der Aktien- bzw. Kapitalgesellschaften, sowie das Überhandnehmen gemeinwirtschaftlicher Unternehmungen (Kriegsgesellschaften)
  3. durch Entautorisierung der Obrigkeit eine Entwicklung zum Volksstaat.
Das ist der für Rathenau lang ersehnte Weg: Die transzendente Aufgabe, schreibt er einmal, lautet: Wachstum der Seele; wie lautet die pragmatische?

Und er gibt die Antwort: Aufhebung der proletarischen Verhältnisse, denn der proletarische Druck lastet am schwersten auf der Seele und verhindert Glück und schöpferische Freiheit. Die Kriegserfahrungen bestätigen Rathenau in der Auffassung, daß eine klassenlose Gesellschaft auch ausreichend Güter produziert, um zu leben. Damit fällt für ihn das letzte Argument für eine freie Volkswirtschaft. 

Nach dem Krieg, schreibt er, wird ein Proletariat, das aus Not produziert, nicht mehr notwendig sein. Der Krieg, der die Unantastbarkeit des Privateigentums zum alten Eisen geworfen hat, hat gleichzeitig andere Antriebe begünstigt. 

Und er entwirft ein Wirtschaftssystem, mit Selbstverwaltungsräten aus Arbeitern, Kollektiveigentum etc., eine "Neue Wirtschaft", das Archetyp für sämtliche sozialistischen Volkswirtschaften des 20. Jahrhunderts ist.

Schaffensfreude, DAS Kriterium für Rathenau, kommt, so meint er, mit der Mitverantwortung von selbst. Dort, in der Vergeistigung der Handarbeit in der Arbeitsteilung, wird Raum geschaffen für die reinen Kräfte, die das künftige Willensdasein bewegen sollen. Mit Freiheit von Erbfron, Freiheit von Not und Freiheit der Berufswahl.

Der Unterschied von Marx? Marx ist deutlich mehr Realist ... und sieht den Arbeitszwang, besonders für den Ackerbau, als Grundlage einer sozialistischen Volkswirtschaft.

***

Harry Graf Kessler hält (im Jahre 1928) übrigens den Streit - Arbeitszwang oder freie Motivation einer freien Seele - für müßig und eher unentschieden. Denn, so schreibt er, die Zahl der Arbeitsscheuen (bei freier Wahl) wird sich mit der Zahl der unfreiwillig Arbeitslosen (bei Arbeitszwang) die Waage halten. Das zukünftige Problem, so meint er, sei ohnehin, wie bei der fortschreitenden Mechanisierung der Arbeitsprozesse und den damit zu erwartenden Produktivitätssteigerungen mit den nicht mehr benötigten Arbeitskräften umzugehen sein wird.

Fortsetzung in Teil 4 - morgen: Pläne zu einer NEUEN WIRTSCHAFT, und das Fazit
 

*021010*