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Mittwoch, 15. September 2010

Was mir möglich ist

Karl Markus Gauß im Interview mit Isabella Pohl im Standard (Auszüge)

STANDARD: Sie haben dieses Buch als Ihr Opus magnum angekündigt. Ist es das?

Artikelbild: "Ich möchte nicht nur ein Autor sein, der unheimlich viele schlechte Dinge aufzeigt, sondern einer, der sagt, es gab und gibt auch wunderbare Sachen."  - Foto: Standard/Andy UrbanGauß: Ich sollte es nicht so nennen. Es ist ein Buch, an dem ich sehr lange geschrieben habe - was für mich etwas Besonderes ist, weil ich sehr rauschhaft, konzentriert arbeite und Bücher oft in sechs Monaten fertig habe. Dann muss ich sechs Monate schlafen gehen und schreibe kaum eine Zeile. Bei diesem Buch war das anders. Ich habe sehr lange daran geschrieben. Ich habe versucht, darin alles, was ich weiß, mit meiner Lebensgeschichte und Entwicklung komplett zu verbinden.

STANDARD: Wo kommt dann die Fiktion ins Spiel?
Gauß: Ich setze zunehmend Fiktion ein. [...] ich glaube, dass man manchmal mit Fiktionen das, was die Realität ist, klarer zum Ausdruck bringen kann.

STANDARD: Sie stöbern immer wieder völlig unbekannte Schriftsteller auf. Woher rührt dieses Interesse?
Gauß: [...] weil ich weiß, [...] dass man viele totgeschwiegene Personen nicht zur Kenntnis genommen hat.

STANDARD: Täuscht der Eindruck, oder sind Sie als Kritiker leiser geworden?
Gauß: Meine literarische Arbeit hat sich lange an der Kritik orientiert. Aber mittlerweile suche ich auch Bilder und Geschichten, die so etwas wie Schönheit, Glück, Würde, rebellisches Tun repräsentieren. Für mich ist Literatur auch eine Form von Lebenslehre. Wenn ich heute aufhören würde zu schreiben, ich wäre sofort ein dümmerer, aber auch ein schlechterer Mensch. Nur beim Schreiben kann ich so gescheit sein, wie ich sein kann. Nur beim Schreiben kann ich so moralisch sein, wie ich sein möchte, und auch so unmoralisch übrigens. Ich brauche das Schreiben, um zu dem zu gelangen, was mir möglich ist.

 
*150910*