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Dienstag, 21. September 2010

Keine Individualität ausgebildet

Copyright Kurier
Der Baßbariton Thomas Quasthof im Kurier-Interview.

Warum verkaufen sich Klassik-CDs so schlecht?

Die Individualität bei den Stimmen kommt immer mehr abhanden. Statt ein eigenes Timbre, einen eigenen Interpretationsansatz ist alles glattgebügelt. Stellt zehn Sopranistinnen nebeneinander, sie klingen alle gleich.

Aber wenn man Künstler zur schnellen Karriere verführt?

Man muss schon sehr aufmerksam sein in diesem Geschäft. Ich habe immer sehr behutsam ausgesucht, was ich wann, wo, wie und mit wem tue. Ich glaube, eine solche Planung ist für den eigenen künstlerischen Weg besser als die schnelle Karriere, die meist auch genauso schnell wieder vorbei ist. Früher gab ich achtzig bis neunzig Konzerte jährlich. Jetzt sind es nur noch vierzig. Und ich suche mir sehr genau aus, mit wem ich was musiziere. Das ist der Luxus, den man als etablierter Künstler genießen darf. Und diesen Luxus lebe ich in vollen Zügen. Ich kenne eine junge Sängerin, die singt sechzig Opernabende plus Konzerte. Das ist verrückt. Wo soll denn das hinführen? Die singt lyrische Sopranpartien und geht mit Anfang dreißig nach Bayreuth, um Wagner zu singen. Da kann man zuschauen, wie die Stimmen kaputtgehen. Aber es gehört zu diesem Beruf leider auch ein bisschen Intelligenz.

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Schon D. Fischer-Dieskau, unisono mit einer der grundlegendsten Stimmpädagogen Deutschlands Franziska Martienßen-Lohmann, wiesen vor Jahrzehnten eindringlich darauf hin, daß hinsichtlich Stimmausbildung ein großes Mißverständnis herrsche, das sich im überhandnehmen von "Methoden" ausdrücke. Die allesamt darauf abzielen, eine definierte, "bestimmte" Art des Klangs und der Hervorbringung zu bewirken. Jeder Sänger aber muß letztlich seine ganz eigene Art entwickeln, zu singen.

Das heißt, daß natürlich auch Gesang, wie jede Kunst, eine ganzheitliche, eben künstlerische Entwicklung und Basis der Person des Sängers verlangt. Dessen Aufgabe ja in einer Stellungnahme liegt, erst diese ermöglicht Interpretation, die schon deshalb bei jedem Künstler anders aussehen muß, weil jeder eine eigene Geschichte und Entwicklung hat, weil jeder auf eine nie imitierbare, schon gar nicht "herstellbare" Art zur Freiheit gelangen muß.

Das aber ist mit dem "Schulunwesen", das gerade in künstlerischen Berufen überhandnahm, und heute noch mehr nimmt, unvereinbar. Wo "Schau-Identitäten", Absolventen entwickelt werden, als zu Figuren im Kunstgetriebe aufgemotzte Poseure einerseits, mit nur einem Ziel: der Einzementierung ihrer Scheinidentität durch Popularität (denn hier müßte man Quasthoff fast widersprechen, denn um "Karriere" geht es diesen letztlich gar nicht, das wäre nicht einmal nur "schlecht") - keine künstlerischen Persönlichkeiten. Aber würde darauf Wert gelegt, müßten sich die Schulen als letztlich unerheblich selbst in Frage stellen. Was "gute Schulen" ja tun. (Wobei die Unterscheidung "Schule" und "Lehrer" zu beachten ist.)



*210910*