Es spricht viel für die Zutreffendheit dessen, was der Politologe Hamed Abdel-Samad, Sohn eines Imams, über den Islam im Schweizer Fernsehen sagt, auch wenn man vielleicht nicht allem was er sagt zustimmen kann. Denn er meint (man lese dazu auch das Spiegel-Interview, siehe unten), die Überwindung des Islam müßte durch eine (der Reformation vergleichbare) Säkularisierung zu erfolgen.
Das zeigt neuerlich, was regelmäßig beobachtet werden kann: daß Muslime (ähnlich den Protestanten) einen sehr rationalistisch - lebenspraktischen Zugang zu Religion haben, und Religion überhaupt als fideistische Veranstaltung sehen, die blinden Gehorsam verlangt, und im Grunde eine Moral ist. Abdel-Samad weist ja nicht zufällig auf sein Studium von Kant und Spinoza hin.
Seine Aussagen sind aber erhellend, wenn er folgendes sagt: Der Islam, die Geisteshaltung der islamischen Welt, sei in Wahrheit knapp davor, zusammenzubrechen. Er kollidiere zu sehr mit der modernen Welt, und sei ein starres, überholtes System, das keine Antworten biete, sondern an der Konvention, am Ressentiment ersticke. Es gab nur eine einzige Hochblüte - vom 7. bis zum 11. Jahrhundert - und die war exakt von solch einer Öffnung gekennzeichnet, die aber nur eine Phase war, die Ausfluß einer sehr umfassenden kulturellen Bewegung eines ganzen geographischen Raumes war - dessen Hochblüte gerade nicht in den islamischen Zentren, sondern in den Peripherien lag.
Der Islam ist damit nicht nur nicht assimilationsfähig, sondern er ist in jeder Gesellschaft asymmetrischer Einschluß, nicht einmal eine Parallelgesellschaft. Denn er lebt nicht MIT den Gegebenheiten, er ignoriert die Länder, in die er einwandert. Zukunft hätte er nur, wenn er sich in einer "post-koranischen" Bewegung des Umstürzens der alten Götter zum Islam "light" wandeln würde.
Daraus wäre auch erklärbar, wie zum Beispiel eine Türkei, die 1918 im Grunde völlig am Ende war, heute (scheinbar) so stark sein kann, und es untermauert Einschätzungen über die Art dieser Stärke, samt Erklärungen dafür, WAS die Türkei so stark gemacht hat, immerhin war der Weg des Atatürk genau solch ein Islam: Das kann nur aus einer voluntaristisch-positivistischen Haltung heraus geschehen, wo die Behauptung einer zu setzenden Welt, die in dem Moment wo der Energiezufluß, das willentliche Halten ausläßt, zusammenbrechen würde, und so das Sein ersetzen soll. In anderem Zusammenhang hat der Islam heutigen Zuschnitts, vor allem in der Konfrontation mit dem christlich geprägten Westen, Merkmale, wie sie vom "burn out" (und seiner Bekämpfung), in anderen Erscheinungen vom "borderline"-Syndrom bekannt sind, und Untersuchungen auf Parallelen wären wohl höchst aussichtsreich.
In jedem Fall bewirkt die Problematik "Islam" eine völlige Fehleinschätzung des Katholizismus und der (wirklichen) Religiosität generell, trägt dazu zumindest ihr gehörig Scherflein bei. Denn der Katholizismus (als phänomenologisch wirkliche Religion, und kein Moralismus) ist genau das nicht, was alle diese Bekenntnisreligionen (wie Protestantismus, Judentum und Islam), die im Grunde fideistische (also: unter Ausschaltung der Vernunft einfach anzunehmende) Lebensregelungen, aber keine Heilsinkarnationen sind.
Im Besonderen sollte man darüber nachdenken, wieweit die "islamische Welt" in ihrer Aggressivität nicht weit mehr von der Kraft (auch postkolonialer) staatsgründender, nationalistisch-romantischer Ideen, die eine Art Renaissance des Volkstums entzünden, getragen ist, als vom (nur vorgeschobenen) Islam. Immerhin spricht gerade für letzteren Aspekt, daß es "den" Islam gar nicht zu geben scheint, denn abgesehen von den fundamental unterschiedlichen Richtungen (Schiiten und Sunniten) ist das in allen Islamdebatten ständig zu hörende Wort: "Das ist nicht der wahre Islam. Der wahre Islam ..." Als wäre der "wahre" Islam eine Randerscheinung.
Abdel-Samad hat natürlich aus islamistischen Kreisen längst Todesdrohungen erhalten.
Zusätzlicher Link: Spiegel-Online, Interview mit Abdel-Samad
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