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Donnerstag, 9. September 2010

Klar wie ein Gebirgssee (1)

Es lohnte, das gesamte Interview mit Martin Mosebach nachzulesen, das DIE WELT online gestellt hat. Denn Mosebach wirkt längst klar wie ein Gebirgssee, und von einer dichterischen Reinheit, die höchstes künstlerisches Ziel ist, aber für die Spätgeborenen - Mosebach ist "noch" Sohn alten Frankfurter Bürgertums, aufgewachsen (väterlicherseits) mit Dante und Vergil - unerreichbar scheint. Oder doch nicht? Macht Mosebach nicht Mut? Hat sich nun im nächsten Schritt geboren, was in seinen letzten Romanen noch um Geburt rang? Wir werden nach der Lektüre seines neuesten Buches berichten.

An dieser Stelle eine kaum gekürzte Archivierung seiner Aussagen, wie er sie Eckhart Nickel gegenüber, der im übrigen sehr geschickte Fragen stellt, für DIE WELT machte.

In jedem Fall: interessante Einblicke in seine Arbeit, zu der natürlich das Temperieren innerer Prozesse gehört. Das Ermöglichen, weit mehr als Betätigen, der "Seelenmechanik", wie es Doderer einmal nannte.

Martin Mosebach: Ich bereite mich niemals auf eine Reise vor. Ich raffe ein paar Sachen zusammen und weiß auch meistens nicht so genau, wo es hingeht.
WELT ONLINE: Sie reisen also mit leichtem Gepäck, travelling light wie man sagt?
Martin Mosebach: Das ist meine Unfähigkeit, etwas nach Plan zu tun. Die Unfähigkeit, auch nur das Kleinste im Leben einem Plan zu unterwerfen. Ich muss gestehen, dass ich nicht dazu imstande bin, die bescheidenste Regelmäßigkeit im Tagesablauf einzuhalten. Dass ich mich auch in der Verfertigung meiner Bücher immer von Zufällen, Launen habe tragen lassen.
WELT ONLINE: Geschieht das aus dem gleichen Impuls heraus wie die kindliche Ablehnung der zweckorientierten Erwachsenenwelt?
Mosebach: Der Schock der Kindheit war die Schule. Diese Vorstellung, dass man da nun immer weiter regelmäßig zu arbeiten hätte. Dazu dann allmählich die Gewissheit, daß das gar nicht mehr aufhören würde, also kein vorübergehender Zustand sei, sondern daß bis zum Ende der Tage das Leben aus Erfüllung von bestimmten Aufgaben bestehen würde, anstatt es einfach nur verstreichen zu lassen.
WELT ONLINE: Sie ziehen sich zum Schreiben immer an bestimmte Orte zurück. Geschieht die Auswahl der Orte im Hinblick auf das, was Sie aufschreiben wollen?
Mosebach: Es ist eine Entscheidung, die von Zufällen getragen ist. Wobei mir, wenn ich die Zufälle zusammen betrachte, auffällt, dass sie mich vor allem in östliche Länder führen, weniger in westliche.
WELT ONLINE: Sie waren schon in Indien, nun reisen Sie in das Ihnen unbekannte Sri Lanka. Schwingt da noch kindliche Entdeckungslust mit?
Mosebach: Ich fahre ja nicht dorthin, um etwas zu entdecken. Ich fahre vor allen Dingen hin, um selber weiterzukommen in der Frage, wie ein neues Buch aussehen könnte. Hier hat auch der Zufall wiederum eine Rolle gespielt, die Einladung des Erzbischofs von Colombo, einen Vortrag zu halten. Und dann ist es doch barbarisch, einfach gleich wieder wegzufahren und nicht etwas Zeit dort zu verbringen.
WELT ONLINE: Sie haben einmal gesagt, die Freiheit des Schreibenden, sich seine Zeit selbst einzuteilen, stelle einen Wert dar, den man mit Geld gar nicht aufwiegen könnte.
Mosebach: Das ist wahr. Wenn man sieht, wie der Büroalltag eines Anwalts, eines Arztes, eines Mannes in einer Bank, einer Frau in einer Agentur aussieht, dann tut es sehr gut, sich gelegentlich angesichts der vielen Unsicherheiten einer freien Existenz daran zu erinnern, was für ein Schatz diese Freiheit ist.
WELT ONLINE: Ein erarbeiteter Schatz. Wie der Stil.
Mosebach: Der Stil ist ja das allergrößte Problem. Das Problem schlechthin: Was ist der Stil? Über diese Frage ist Flaubert fast verrückt geworden. Vordergründig könnte man natürlich sagen, der Stil, das sind irgendwelche Sprachspielereien, grammatikalische Sonderformen, die man sich ausdenkt, Lieblingswörter, Verzicht auf Nebensätze. Oder ganz unglaublich viele Nebensätze. Das sind Mittel, die in der naiven Öffentlichkeit als Stil wahrgenommen werden.
WELT ONLINE: Aber das ist nicht der Stil.
Mosebach: Es gibt diesen großartigen Satz von dem Naturwissenschaftler Buffon aus dem achtzehnten Jahrhundert: Le style, c'est l'homme même. Der Stil ergibt sich beim viel schreibenden Menschen, wenn er die Unfähigkeit erreicht, weiter zu lügen. Immer mehr zur Offenbarung der eigenen Person zu gelangen, die aber kein aufdringliches Bekenntnis ist, Selbstdarstellung, Beichte, sondern so etwas wie ein Fingerabdruck. Über Hunderte von Seiten kann man keine Verstellung mehr aufrechterhalten. Es kommt dann raus, wer einer ist.
WELT ONLINE: In dem, was man schreibt.
Mosebach: Es zeigt sich in der Sprache, nach vielen geschriebenen Seiten.

WELT ONLINE: Muss man sich enzyklopädisch selbst erforschen, um seinen Stil zu finden?
Mosebach: Im Gegenteil: Eben gerade nicht erforschen! Man muss sich nur oft genug, lang genug schriftlich verbreiten. Das ist wie die Ausbildung einer Handschrift. Die ist auch wichtiges Zeugnis einer Person, ein aussagekräftiges Indiz. Die Handschrift ist die äußere Schale des Stils. Der Stil muss so etwas sein wie die Handschrift, die man auch nicht beeinflussen kann. Man kann ordentlich mit der Hand zu schreiben gelernt haben, und dann schleift sich das allmählich in die einem angemessene Form hinein. Die Handschrift ist ja ein vieles zu Tage förderndes Geständnis. 

(Wird fortgesetzt)
 

*090910*