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Donnerstag, 6. Januar 2011

Archaischer Kult - II

Fortsetzung von Teil I) 

Auch die Tatsache, daß nach wie vor afrikanische Rinder meist mit langen Hörnern ausgestattet sind, ist kein Zufall oder rassischer Makel, denn langes Horn bedeutet auch weniger Milch- und Fleischertrag. Es hat vielmehr die religiöse Bedeutung der Mond-Symbolik. Ebenfalls in Afrika ist zu beobachten, daß Hirtenvölker häufig Priester zu Oberhäuptern haben, denn die Hüter der Rinder hatten und haben oft besondere, kultische Bedeutung, und solche Stämme, die auch meist kriegerisch sind, fühlen sich den Hackbauern hierarchisch übergeordnet.

Ähnliche Hintergründe lassen sich aus dem persischen Zarathustra-Kult erzählen. Aber der Weg verlief nicht, wie es unserem Denken entsprechen würde, über Nutzgedanken. Es war eine Aufgabe mit religiöser Dimension, wie aus Berichten über Zarathustra hervorgeht.

Denn daß Hackbau-Kulturen (die den Pflug nicht kannten, sondern nur über Löcher im Boden z. B. Zwiebeln anbauten) auch Rinderzucht übernahmen, bedeutete ja einen kulturellen Abstieg, war eine Verzweckung und Profanierung, die von reinen, hohen Hirtenvölkern abgelehnt wurde. Diese ursprünglichen Nicht-Viehtzüchter verzweckten das Vieh unsachgemäß.

Vielmehr betraf es die ursprüngliche nomadische Lebensweise dieser Völker. Die wirkliche, sachgerechte Rinderzucht, aus kultischen Gründen, brauchte nämlich Seßhaftigkeit und geordnetes Leben. Sich mit dieser Lebensform auseinanderzusetzen war damit eine moralische, religiöse Aufgabe - und aus ihr erwuchs damit der Bauer heutigen Zuschnitts. Denn als Gottesdienst, als Gehorsam den Göttern gegenüber, war die Seßhaftigkeit ein Prozeß sittlicher Läuterung, verlangte Disziplinierung, Tugend.

Erst von dieser kultischen Stufe aus, die ein Verzicht war - nicht also aus wirtschaftlichen Überlegungen! - begann auch der Nomade Ackerbau zu betreiben. Er ließ die trächtige Kuh ruhen, und begann den Stier für den Pflug zu nutzen. Durch diesen Akt wurde auch der Boden mit in die Sphäre der Heiligkeit einbezogen - hier taucht das Faktum der Bodendüngung auf: als geheiligter Akt!

Noch heute lebt weltweit der Gedanke, daß Rinderdung heilende Wirkung hat. Weil alles, das dem Rind entstammt, letztlich heilig war. Es steht also zu vermuten, daß auch der Genuß der Milch des Rindes - was dem ganzen asiatischen Raum ohnehin fehlt! - erst nur den Priestern vorbehalten blieb. Der Umgang mit dem Acker hatte schließlich generell sakralen Charakter. Auch in Europa war (und ist!) dies noch sehr lebendig.

Wo nicht, zeigt sich wirklicher Barbarismus. Ist nämlich dieser kultische, gefühlte, magisch-religiöse Bezug zum Rind, aber zum Tier generell, und von dort ausgehend zur Grundlage unserer Nahrung nicht vorhanden, bleibt nur noch der Verstand, um das menschliche Verhältnis zu ihm zu regeln. Und der hat in der Geschicht regelmäßig versagt, wie sich zeigt, wenn der Mensch mit einer Tierwelt konfrontiert ist, die nicht seiner vertrauten entspricht, zu der er eine Beziehung hat. Das beweist die sinnlose Überfischung der Weltmeere genauso, die die aberwitzigen Tötungsorgien der Europäer in Australien oder den heutigen USA, aber genauso unter arabischen Stämmen (als Beispiel) der Rinder- oder der Kamelhaltung.

Das Tier als Sache, als nüchterner Nutzfaktor, genauso aber auch die Sentimentalität, mit der es oft bedacht wird, oder das Tier als lebensbelustigender Luxus, ist erst jung. Immer noch sind deshalb auch bei uns Spuren eines Lebenszusammenhangs zu finden, der die Grenzen der Rationalität sprengt, und aus altem, tiefem Gefühl steigt. Nicht nur der Stierkampf, als eigentlicher Opferakt, ist da zu nennen. Jährlich sterben in Mitteleuropa etwa ein Dutzend Bauern, die beim Brand ihres Hofes versucht haben, ihre Tiere aus dem Feuer zu retten. Trotz Versicherungsdeckung. Eines der Zeugnisse dafür, daß der innere Zusammenhang, der unsere Kultur begründet hat, noch immer (!), wenn auch immer seltener, da und dort lebt.


Natürliche Wirtschaft, schreibt Günther, ist keine Frage von Zweckrechnung und rechnerischem Nutzen, sondern ein seelischer Vorgang. Es gibt eine seelische Unfähigkeit zur Landwirtschaft als Metapher für das Leben im Ganzen, und sie ist bei vielen Arbeitenden wie Arbeitslosen dieser Zeit bereits zu bemerken. Entseelung - das ist die Art, in der eine Kultur stirbt. Das tiefe Wesen und Wollen des Seelischen aber ist der Kult.

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