Michelangelo/Adam: Vollkommene Harmonie |
Anderseits geht es ohne Technik auch nicht. So wenig entscheidend sie hinwiederum sei: denn für viele Kunstwerke gelte, daß ihr Zauber, ihre Aussage so stark sei, daß Mängel in der Technik übersehen werden können. Ja, für manche sehr ausdrucksstarke Künstler gelte, daß ihre Technik prinzipiell hinter ihrem Ausdruckswillen hinterherhinke, und zum geringsten seien sie selbst wohl damit zufrieden.
Dann komme die zweite Stufe, die mit "Stil" oder Gestaltungsprinzipien bezeichnet werden könne. Hier entscheiden Dinge wie Komposition, Mittelverwendung (die also Kenntnis der Mittel eines Kunstmediums voraussetzt), Harmonie der Elemente etc. Auch, wenn überhaupt Geschmack in der Kunst eine Rolle spiele - denn Geschmack ist an sich das Kriterium des Kunsthandwerks, einer (bestenfalls) Vorstufe zur Kunst - dann sei hier sein Platz.
Stil aber ist übertragbar, Gestaltungsprinzipien sind imitierbar. Beides sind auch eingebettet in eine Zeit und in eine Kultur, haben also gewisse "überpersonale" Qualität.
Raffael: überbetonter Stil |
Mit dieser Faustregel lasse sich, über Übung, ein sicheres Kunsturteil aufbauen, gewisse Sachkenntnis vorausgesetzt. Natürlich aber sei es eine Tatsache, so Niemann, daß die überwiegende Masse der Kunstwerke mehr oder weniger weit hinter dieser vollkommenen Harmonie hinterherhinke. Damit müsse man dann eben leben. Sie wiesen alle eben einen Mangel in zumindest einer der Stufen auf, sodaß andere überbetont seien. Ohne zumindest Spuren aber ALLER dieser drei Stufen könne man keinesfalls von Kunst sprechen.
Ganz sicher aber kein Kriterium aber ist, WAS in der Kunst dargestellt ist. Dieser laienhafte Irrtum ist zwar nicht auszurotten, weil er ganz andere Ebenen und Interessen bedient, aber er ist der Kunst - dem Antlitz des Wahren im Schönen - bestenfalls verderblich.
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