"Eigentlich ist die Begierde nichts als ein Zerfallsprodukt des Zersetzungsprozesses des Heiligen. Es gibt die Begierde in genau dem Maß, als es kein Heiliges im strengen Wortsinn mehr gibt, das heißt ein Heiliges, das noch unmittelbar im Sündenbockmechanismus verwurzelt ist. Die metaphysische Dimension der Begierde verleiht ihr also keine Wirklichkeitsdichte im eigentlichen Sinn, sondern eher eine schwindelerregende Unwirklichkeit.
Man könnte auf sie Hegels Beschreibung des Zustandes der Religiösen im Ausgang der Aufklärung anwenden: "bloßes Ziehen der Linien der Sehnsucht ins Leere hinaus." Freilich mit dem Zusatz, daß diese Sehnsucht keine nostalgischen Züge trägt. In Wahrheit handelt es sich um eine ins Absolute gesteigerte Strategie des Scheiterns. Weil die Begierde sich etwas vorschwindelt, dem in Wirklichkeit nichts entspricht, erregt sie auch Schwindel."
Jean Greisch, in "Homo mimeticus"
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