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Donnerstag, 13. November 2014

Abbruch der Brücken zur Vergangenheit

Im Bombenkrieg, schreibt Jörg Friedrich, werden die Mauern, der Stein zu Verbündeten der Waffe der Angreifer. Sie erschlagen, ersticken, zerfallen, werden zu Glutöfen und Erstickungsfallen, zu Manifesten des Schreckens. Die Haltung der Menschen zu ihnen wandelt sich, sie werden zu gegenwärtig gehaltenen Traumata. Mehr Mauern, als die Bomben zerstörten, rissen deshalb die Deutschen selbst nach 1945 ab. 

Was man in den Bombenangriffen in den Städten - Dörfer waren als Bombenziel uninteressant, man brauchte zusammenhängende bebaute, brennbare Flächen - erlebt hatte war eine Dekomposition des Seelischen, das alles Erleben, Fühlen in einer Spaltung abkoppelte, die Sinne als Notwehrreaktion stumpf machte.

Man wollte sich von dieser schrecklichen, tödlichen Vergangenheit, die man in den Bombenangriffen dort wehrlos und ausgeliefert erlebt hatte, trennen, die Gefühle nicht mehr aktivieren. Die mit dem Stein, den man als Todfeind erlebt hatte, nicht mehr als bergenden Schutz wie zuvor, verbunden waren.

Zwar wurde auf Befehl Hitlers ab 1943 mit Photographie alles "gesichert", was zu sichern war, bis ins Detail. Doch es war die Abnahme von Totenmasken. Vieles wurde zwar nach 1945 wieder als Imitat nachgebaut, viele einzelne Kostbarkeiten und Kunstwerke waren abmontiert und gerettet worden, aber noch mehr nicht. Und wurde etwas später rekonstruiert, wurde aus lebendiger Vergangenheit - ein Museum. Der Bruch mit der Geschichte, er im Schutt der Städte besiegelt war, war irreparabel.

Die Bomben wurden zu Annullierungsinstrumenten deutscher Geschichte und Tradition. Denn der Stein war beseelt. Dieser Seele wurde das Urteil gesprochen, gegen das es keine Berufungsinstanz gab, formuliert es Friedrich. Die Baugestalt als Erzieher wurde von anderen Erziehern abgeschafft, die nun Religion, Sitte und Recht neu festlegten. Und Deutschland konnte sich nicht mehr wehren, wurde vollständig unterworfen.

England kämpfte gegen einen Ungeist, indem es den Unmenschen vernichten wollte, der in Körperkonturen steckte. Aber damit kann man Ungeist in Wahrheit nicht besiegen, selbst wenn man alle Gefäße zerbricht, in denen er steckt. Und das Bomber Command zerstörte dabei überhaupt jeden Klang, die zweite Zeit, die jeder Gegenwart parallel geht, nach der sich eine Kultur wieder neu an seinen Wurzeln orientieren hätte können.

Hier schließt sich ein seltsamer Bogen, in der Analogie zu heute, 2014. In der Stumpfheit gegen die gegenständliche Welt, verbunkert sich der Mensch. Sein Schutzschild ist nicht mehr eine acht Meter dicke Betondecke, sein Schutzschild ist ein 2 oder 5 cm dicker Bildschirm. Umgeben von unsichtbaren Betonwänden, ist seine Welt nur noch virtuell. Erleben läßt er nicht mehr zu, dafür lagert er Dokumente aus: waren es im Bombenkrieg ferne Stollen und Kasematten, ist es heute der Datenbunker irgendwo in der Einöde Kaliforniens. Sein Tun wird automatisch, seltsam rational, die vermeintliche Außenwelt mit Taste und Telephon gesteuert, in ständiger Erwartung, und endet in der Unbeweglichkeit zwischen engen Bunkerwänden, wo entgeisterte Menschen dicht an dicht sitzen, die sich in leerem Geplappere unterhalten, während ihnen die Zeit zu einer Parallelzeit zur Außenwelt schrumpft. Wie es in den Bunkern erlebbar war, genau so erscheint das Bild der Seelenwelt des heutigen Menschen. Wie bei jenen, die mitten im Bombenhagel den Untergang der Welt erfahren hatten. Was sie von der Vergangenheit noch zu Gesicht bekommen, sind - photographische Dokumente und Datenlisten, denen aber die lebensspendende Kraft der historischen Gestalt fehlt, "gerettet" vor dem Barbarismus der Zeit.




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