Wo das Geglaubte nicht in Vernunft eingebettet liegt (und hier hat auch Logik ihren Platz), fällt der Mensch zwangsläufig in die Reflexivität der Selbstvergewisserung. Ununterscheidbar liegt dann "inneres Erleben" als "Vorhandenes", als Bewußtseinsinhalt vor ihm, ununterscheidbar ob es selbst evoziert oder im Zufammenfall mit der objektiven Wirklichkeit steht, als Inhalt des Seins also.
Immer ist Logik eingebettet in Wahrheit, und zwar in eine objektive Wahrheit, die jeder Logik dimensional (nicht aber zwangsläufig verbal-inhaltlich) unterschieden ist. Ohne Wahrheitsbegriff gibt es keine Logik. Aber die Wahrheit ist (in ihrem Grad - als TEILHABE an der Wahrheit selbst) immer fleischlich manifestiert. Sie ist lebendig, ja sie IST das Leben, an dem wir im Maß teilhaben, als wir in der Wahrheit leben. Wo sich der Wahrheitsbegriff des Einzelnen nicht zu diesem Begreifen des Lebendigen hebt, bleibt er in rationalistischem Formalismus stecken, innerhalb dessen er wiederum auf das bloß Gedankliche zurückfällt.
Wenn es aber nun heißt, daß Vernunft (und in ihr die Logik) das Wesen des Weges (oder: Tores) zum Geist - dem Geglaubten also - ist, so heißt das nicht, daß bloßes logisches Denken automatisch auch zum Geist führt. Vielmehr ist es ein weiter Weg, Geist ALS Geist zu begreifen, als Anfang wie Ende der menschlichen Entwicklung also. Der sich nicht nur über weltlich-inhaltliche Bilder erhebt, sondern von diesen frei (und doch auf sie bezogen) die höchste Höhe des dem Menschen Möglichen bedeutet. Geist zu begreifen, und insofern: geistig leben und denken, ist also die Frucht eines langen Weges des sittlichen Bemühens um Freiheit, den es zu gehen gilt. Dieser Weg kann gar nicht anders sein, als ein Weg der Befreiung, und damit der Läuterung, in der sich der Mensch im Geist aus dem Zwangsläufigen hebt (selbst wenn er immer wieder dareinfällt, also: sündigt), und zwar genau OHNE sich vom (eigenen) Fleich zu distanzieren, sondern es in sein Insgesamt hineinzuholen. Denn der Mensch reicht über die gesamte Schöpfung in Gott hinein, und nur als dieses alles integrierend ist er Mensch.
Bleibt der Mensch in dieser Ungewirklichkeit, in dieser Fiktionalität (als Selbstvorwurf), sucht er unweigerlich sinnliche Bestätigung. Das heißt, daß sich sein Wirklichen auf die Suche nach Erlebnisinhalten konzentriert, die ihn - als Referenz auf die (bzw. "eine") Wirklichkeit - bestätigen. Das gilt auch für den Kult. Er wird also Erlebniswelten suchen, die ihn im Gefühl bestätigen. Denn dieses Selbstgefühl ist für ihn der Raum, in dem er "er selbst" ist. Es gehört zum Wesen des Heidentums, daß es zwangsläufig in solche Gefühlskulte und Erlebniswelten abdriftet. Weil ihm diese Vernunfthaftigkeit in der Wahrheit fehlt.
Heil und Selbsthaftigkeit wird psychologisch verankert, Wirklichkeitserfahrung zum Produkt psychologischer Mechanismen der Selbstsetzung und -vergewisserung: Selbstsein wird zur (nur mehr oder weniger fanatischen) Selbststatuierung. Die Angst vor dem, wie die Dinge wirklich sind (oder, noch schlimmer, sein könnten) wächst. Der Blick für die Welt trübt sich, die Ratio schließt das innere Wort zu einem geschlossenen Kreis, mit der Tendenz, unliebsames Wirkliches zu vernichten bzw. zu ignorieren.
Der Mensch ist nicht ontologisch gegründet, wird damit nicht geisthaft, sondern reflexiv-rationalistisch und sentimental (als Simulation von Gefühl, so wie man sich eine Wohnung mit Blumen ausschmückt, um sie schön oder gemütlich erscheinen zu lassen). Der ungeistige Mensch verankert sich deshalb in "Erlebnis" ("Empirie"), identifiziert Geist mit Bild und Materialem (Physikalischem), und ist sich selbst Maßstab der Wahrheit (soweit das überhaupt möglich ist).
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Demut heißt nicht, schreibt übrigens sehr richtig Martin Luther (in seiner frühen Zeit, wo er ihr Wesen noch begreift, ehe er sich in der Reflexivität der Selbst-Statuierung des eigenen Seins überhebt), sich niedrige oder schlechte Bilder von sich vorzustellen. Demut ist hingegen von dem nicht zu trennen, was mit Identität zu bezeichnen ist. Sie muß immer konkret sein, weil sie ohne Inhalt, auf den sie sich bezieht, auf Sachgemäßheit also, nicht denkbar ist. Wo sie ihr anderes Gesicht, die Hochgemutheit, zeigt.
Wenn also konkrete figurale Identitätshinhalte fehlen, bleibt dem Menschen gleichermaßen nichts mehr übrig, an dem er demütig werden, wo sich diese Demut wirklichen könnte. Menschsein ist also ohne Kultur (als konkretes Zueinander von konkreten Gestalten) und kulturelle Differenzierung mangelhaft und unerfüllt und unerfüllbar. Die Ideologie der Gleichheit entzieht also der Demut ihren Boden, so wie sie die Identität der Menschen ins Nichts wirft - und alle gleichermaßen in den Hochmut treibt, weil dem Selbstsein nur ein Mögliches, aber Unerfülltes entspricht, das es selbst zu "entwerfen" gilt, weil der Persönlichkeit jeder konkrete Boden fehlt, an dem sie wachsen könnte.
Fehlt das kulturelle Figurentheater (gewissermaßen), in dem jeder seinen Part einnimmt, seine Rolle spielt (und das heißt: Demut, Dienst an der Rolle, und DARIN Dienst am Sein selbst, und DARIN Weg zur freien Geistigkeit), kann sich der Einzelne nur noch selbst halten. Indem er sich immer das vorwirft, was er "sein könnte", das natürlich rein fiktiv bleibt und im Grunde gar keine Aussage darüber enthält, was er wirklich sein könnte. (Weshalb es eine häufige Erscheinung ist, daß Menschen glauben, ALLES sein zu können, was natürlich nicht stimmt.) Gleichzeitig wächst die Angst vor der Verwirklichung (die es nur als Verwirklichung in der Gestalt gibt), weil die Wirklichkeit zur Gefahr für das nur von einem selbst zu haltende "Ich" (als Selbstbild) wird. Das Streben eines solchen Menschen geht also vorwiegend darauf, die Bedingungen einer Wirklichung bestimmen zu wollen - ohne sie ins "hic et nunc", ins reale Jetzt setzen zu müssen. Sein Denken wird zur Selbstvergewisserung (die natürlich nie zu einem Ende kommt, weil es diese Selbstvergewisserung gar nicht gibt, denn Sicherheit kann nur über manifeste Fleischlichkeit, also im Dialog mit der Welt, erwachsen, soweit sie überhaupt erwachsen kann.)
(Hier setzt die Theologie des Kreuzes an, die das Kreuz nie kennt, das sie aufzuschultern bereit ist, und sich hierein in Gott, das Sein, daraus in die Vorsehung - Plan und Wille Gottes erfüllend -, birgt. Selbstvergewisserung ist also in diesem Aspekt auch Kreuzesscheu.)
(Hier setzt die Theologie des Kreuzes an, die das Kreuz nie kennt, das sie aufzuschultern bereit ist, und sich hierein in Gott, das Sein, daraus in die Vorsehung - Plan und Wille Gottes erfüllend -, birgt. Selbstvergewisserung ist also in diesem Aspekt auch Kreuzesscheu.)
Umgekehrt ist es völlig logisch, daß eine solche Kultur (bzw. kulturelle Gesellschaft) zu einer kollektiven Veranstaltung des Mobbing (und des Urheberdiebstahls) wird. Denn Mobbing bedeutet, dem anderen seinen Platz zu verweigern, durch Ignoranz (die unter das 5. Gebot, das Tötungsverbot, fällt) des realen Figürlichen, Gestalthaften. Mobbing greift auf das rein fiktive Ich zu, und sucht zu verhindern, daß reale figurale, fleischliche Forderung entsteht, wie sie Akzeptanz des anderen in dessen Identität als "der andere" mit sich bringt. Nimmt der andere aber eine konkrete Gestalt ein, wird das Nichts der eigenen Nicht-Gestalt (die nur fiktiv existiert) dramatisch.
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