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Montag, 17. November 2014

Nagelproben

Da wagt es eine ehemalige Justizministerin Österreichs - Claudia Bandion-Ortner - von ihrer Arabien-Reise zu erzählen. Wagt es, die dort für Frauen vorgeschriebene Abaya (ein Ganzkörperkleid, das aber das Gesicht ausläßt) als "angenehmes Kleidungsstück" zu bezeichnen, das sie überwarf, um den Bekleidungsvorschriften des Landes Arabien zu entsprechen. Da wagte sie gar davon zu sprechen, und das schlug dem Faß natürlich den Boden aus, daß die Hinrichtungspraxis (in Arabien gibt es jährlich etwa siebzig Hinrichtungen) Sache des örtlichen Justizsystems sei, bzw. Teil eines Staatsrechts, das einen anderen Staat nichts angehe - und schon wird sie durch alle Kakaotassen gezogen, die es nur gibt. 

WIE KANN MAN NUR! Wie kann man nur nicht einfach universalistische Prinzipien erkennen, sondern auch noch NICHT vorschreiben wollen? Und besonders lächerlich machen sich nun die Liberalen, deren wahrer Charakter sich in solchen Fällen blendend offenbart: Denn da hört natürlich der Liberalismus auf. Denn sie wollen gar keinen Liberalismus. Sie wollen einfach, daß Liberalismus (der überhaupt nicht definierbar ist) als Recht zu allem, gleichgültig in welcher Gesellschaft, gleichgültig in welchem Rechtsgefühl, gleichgültig wo und wie, überall durchgedrückt wird.

Dabei hat die Süße gar nichts Besonderes gesagt, sie hat sich nur irgendwie geweigert, den ganzen vorgekauten Unsinn mit dem sich hierzulande alle heiligsprechen, nachzukauen. Sie hat von ihren persönlichen Erfahrungen gesprochen. Und das tun ja auch andere, die erzählen, daß sie selber nie die Erfahrung gemacht hätten, daß man als Europäer ein Mensch zweiter Klasse sei, oder oder oder ähnliches. Irgendwie seien das auch dort normale Menschen, mit sehr ähnlichem Entscheidungsprofil.

Was? Wie bitte? Hört man richtig? Das sind doch Verbrecher! Das sind doch Frauenverächter, Folterer, Menschenvernichter ... (man kommt kaum zum Atmen).

Seltsam diese Diskrepanz zwischen medialem, öffentlichem Bild der Arabischen Staaten und dem persönlichen Erlebnis so mancher. Wenn sie nicht gerade Antiislamisten sind, weil sie, die gerade mal einen Laden in Jeddah montieren sollten, den ihre Firma dorthin verkauft hatte, vor zig Jahren mit fünfhundert Liter Whiskey im LKW-Kühler (Alkohol ist dort verboten) an der Grenze erwischt und zwei Jahre - "unter "echt" unmenschlichen Bedingungen" - in arabischen Gefängnissen verbracht haben. Die haben natürlich ganz andere Erfahrungen und man sollte doch gefälligst das Maul halten, wenn man über Arabien spräche - SIE wüßten, was dort los sei, sie seien dort gewesen, und man selber nicht. Also, kusch!

Bandion-Ortner war auch dort. Aber das gilt nicht. Wie kann man nicht dasselbe Urteil wie die Whiskeyschmuggler - pardon: die liberale Gesellschaft - haben? Da muß doch etwas nicht stimmen, die Welt nicht genauso gerade gestrickt zu wollen, nein, "machen" zu wollen, wie man selbst?

Da hat es ein rasches Ende mit der Toleranz. Toleranz? Das ist das, was wir wollen, daß alle sollen. (Nicht die Akzeptanz der Spannung zu dem, der tatsächlich anders denkt, anders handelt, anders fühlt, selbst wenn ich das für falsch halte.) Mein Gott, was für ein Drama! Da hat doch so ein deppertes Weibsstück glatt den Mut, die Erfahrungen mit Menschen im Islam, in Arabien, samt deren Lebensgewohnheiten, als ziemlich "normal" zu erfahren. Denen ihre Eigenart zu belassen. Sie als Staat anzuerkennen. Na, wo kommen wir denn da hin? Staat ist nur - oh, tiefes Mittelalter, oder? - wer so ist wie ich. Mensch nur, wer so ist wie ich.

Was der Liberalismus für ein strohdummes, in Wahrheit ideologisch verblendetes, wirres Gesindel hochgezüchtet hat, macht immer wieder erstaunen. Wobei noch mehr staunen macht, daß sich diese Leute noch als "Intellektuelle Elite" positionieren konnten, zumindest im engsten Umfeld ihres Selbstbildes, und in den Medien, natürlich, weil Gleich auf Gleich ... wir wissen. Die in die simpelsten Fallen der Selbstentlarvung tappen. Weil sie kein Wesen haben.

Wenn aber etwa ehemalige Chef- und sonstige Redakteure, wie Andreas Unterberger, einer der schlimmsten Kotzbrocken der Presselandschaft Österreichs. (Umso begehrteres Objekt katholisch-konservativer Simulantenkreise, die jedem dankbar zuhecheln, der ihnen das, woran sie eigentlich nicht glauben, bestätigt.)

Einer jener, die mit ihren Drecksblättern genau damals genau jene waren, die gesellschaftliche Stimmung maßgeblich manipuliert und belogen haben (im Sinne der guten Sache ist das ja ziemlich erlaubt), gegen die Volksstimmung, mit massiver Angstpropaganda, Angst, wie sie jeden befällt, der aufsteht und nicht im Dreck kleben bleibt. Sodaß sich 66 Prozent der Österreicher schließlich und überraschend doch FÜR den EU-Beitritt entschlossen haben, gegen alles handverständige Denken. Wenn diese also nun daherkommen und erklären, daß sie - als Liberale, und was für welche, im übrigen abgeschossen und arbeitslos - nun zu Kritikern der EU geworden wären, genau jene, die kein Mittel scheuten, um kritische Stimmen zu unterdrücken, zu diffamieren, zu entehren, dann kommt einem das Kotzen hoch. Die also meinen, damit wäre die Sache gegessen, sie wären ja doch auf der richtigen Seite. (Typisch Liberale, eben.)

Sie werden bestenfalls noch übertroffen von (fett dotierten) pensionierten, "immer konservativen" Schuldirektoren und -inspektoren, die mit  fünfundsechzig als Studienräte und Oberstudienräte an Autorität und gelungenem Leben in ihren Pensionshäusern im Kamptal reif geworden, beginnen, "scharfe Gesellschaftskritiker" jenes Schul- und sonstigen Systems zu werden, das sie selbst beschlossen, getragen, erfüllt, nie zu verändern gewagt haben, denn da ging es ja noch um ihre Karriere, und die jeden bekämpft haben, der es seinerzeit, als es für sie noch um etwas ging, zu verändern verlangte. Da wird einem überhaupt nur noch schlecht.

Was ein Liberaler ist? Das ist jemand, der Ihnen nach fünfzehn Jahren erklärt, warum das, wofür er damals war, völlig verkehrt ist, weshalb er nicht nur niemals nie dafür war, sondern weshalb es geändert werden muß, weshalb er gleich für nichts ist, das man nach fünfzehn Jahren noch festnageln könnte, aber das umso fester. Weshalb es vor allem darum gehe, alles zu entgrenzen, damit man nach fünfzehn Jahren sagen könne, wo begrenzt hätte werden müssen, weil man es ja immer gesagt habe.

Kennte man nicht so viel wunderbare Österreicher, im Grunde die einfachen Menschen, solche, die noch ihr Leben riskieren um zu leben, man würde fast sagen wollen: Österreich IST Auswurf. Aber es hat ihn nur. Oben, über sich gelagert, ganz dick und fest.



*171014*