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Donnerstag, 21. Mai 2015

Der Zuschauer will nur das eine (1)

In der Kritik einer Inszenierung eines Stücks von Peter Handke in Hamburg las der VdZ jüngst, daß es nicht gelungen sei, "dem Stück etwas Neues hinzuzufügen". Natürlich war das negativ gemeint.

Darin zeigt sich das ganze Elend der derzeitigen Kunst, insbesonders der Bühne. Denn egal in welchem Kunstwerk, so geht es immer um die Darstellung fundamentaler Wirklichkeit, in der der Mensch steckt. Diese Wirklichkeit beschränkt sich aber auf ganz ganz wenige Grundsituationen. Das heißt, daß es MILLIONEN von Kunstwerken gibt, deren Inhalt sich aber auf eine Handvoll (manche meine 7 oder 8) Situationen beschränkt. Ja, je großartiger, berühmter, historisch unvergänglicher Kunstwerke sind, desto mehr wird genau das erkennbar: Sie haben in großer Vollkommenheit verstanden, eine dieser ganz ganz wenigen Situationen und Wirklichkeiten darzustellen.

Weil aber die Kunst heute auf eine Situation trifft, in der Dummheit in einem nie gekannten Ausmaß herrscht, versucht man die Kunstschaffenden anzutreiben, "Neues" zu erfinden. Was regelmäßig in einen Wettlauf ausartet, Methoden zu finden, Neues VORZUTÄUSCHEN. Durch Verblüffung, durch Überraschung, durch Irreführung, vor allem durch zügellose Vermischung der Ebenen, etwa durch Durchbrechen der persönlichen Schranken, durch oft sehr subtile Mißbräuche der Ebenen der Realität. Die in dem simplen Vergleich ausreichen beschrieben ist, jemanden, der eine Nadel auf der Bühne sieht, mit dem Stich einer wirklichen Nadel, die zuvor (als Teil der "Inszenierung") in seinen Sitz eingebaut wurde, zu verletzen. Das Publikum, ohnehin völlig verwirrt und orientierungslos mittlerweile, kann ohnehin nichts mehr zuordnen. Und fühlt sich "von der Aufführung bewegt", weil ihm von der Decke ein Ziegelstein auf den Kopf geworfen wurde.

Man geht nicht ins Theater, um "Neues" zu sehen. Man geht ins Theater, um das immer Gleiche, diese erwähnten "sieben Situationen", zu erleben. Man schaut nicht einen Film, weil man "Neues" sehen will. Man wählt einen Film nach der Grundsitutation, die man erleben möchte. So, wie man den Gottesdienst besucht, wo man auch immer nur eine - aber die grundlegendste - Situation sehen und erfahren, erleben will. 

Wenn es also Handke in seinem Stück gelungen ist, als Schriftsteller und Dichter, man sieht es also schon im Text, EINE Situation darzustellen, dann ist es völlig Hundspruntz, wo und wie es aufgeführt wird. Wenn es der Inszenierung gelingt, diese Wirklichkeit der Erfahrung, dem Erleben darzustellen. Dann geht man als Zuschauer bereichert aus dem Theater. Man hat eine bestimmte Wirklichkeit in sich gestärkt, die nun zur Bereitschaft wird, zur Fähigkeit, sie wirklich (weil die Kunst nur etwas aufwecken kann, das in einem IST, auf daß man es in Besitz kriege) in die Welt zu stellen, auf daß andere - das ist nämlich Kommunikation - unter dieses Dach schlüpfen. 

Zeitgemäße Inszenierung kann also nur heißen, unter der Wirrnis der Gegenwart diese eine Wirklichkeit, die (in dem Fall) das Stück zum Inhalt hat, zum erkennbaren Inhalt (weil die Details, das Einzelne relativ sind, eigentlich damit: schnurzpiepegal, im Absoluten betrachtet) herauszuarbeiten. An dem der Zuschauer damit, von der Zeitwirrnis befreit - das ist die katharrtische Wirkung des Theaters, der Kunst - teilhaben kann, und in der Fähigkeit zum Leben gestärkt wird. Eine Kritik, die verlangt, daß dieses Ewige, dieses immer Gleiche, in Zeitwirrnis aufgelöst wird (und nur dort gibt es "Neues", "Hinzugefügtes"), ist ... pervers.

Nur im Rahmen dieser einen bereits im Stück dargestellten Wirklichkeit gibt es dann "Ideen", "Einfälle", "Originelles", was auch immer. Als etwas, in dem man die Vorhandenheit dieser einen Grundwirklichkeit, um die es geht, und die man will und suchte, die den Grund des Theaterbesuchs ist, nicht vermutet hätte. Als Zerreißen eines Schleiers, den das zufällige Faktische der Gegenwart, das zufällig Situative über die Grundwirklichkeiten gelegt, hat, aus denen man lebt, und leben will, weil man sonst gar nicht lebt. Daß selbst hinter diesem Kostüm, das man ja kannte, aber nicht durchdrungen hatte, also über dem Vielfältigen des Einzelnen, dieser, jener historischen (also damit auch: zeitgemäßen) Situation, das Eine - wesentlich nämlich Unsichtbare, weil das wirkliche immer unsichtbar ist - nicht sah, diese eine Wirklichkeit steckt.

Genau das Gegenteil aber verlangt man, besonders seitens der Oberschlauen, die "Bildung" mit "Kennen vieler Zufälligkeiten" verwechseln: von der Regie, dem Bühnenbild, den Schauspielern. Unsichtbarmachung des Wirklichen, indem man es im Zufälligen verschüttet. Und alle reißen sich den Arsch auf, um möglichst irgendetwas "Neues", Unvorhergesehenes "hinzuzufügen". Dann gibt es plötzlich einzelne Schauspieler, die "alle überragten", ein Ensemble das "durch seinen Einfallsreichtum überzeugte", ein Bühnenbild das "alles in den Schatten stellte", einen Regieeinfall, der "die Vorstellung machte". Und alle suchen krampfhaft den Effekt, und die besonders "Intellektuellen" deuten irgendeinen Zufallsdreck dann aufs Stück um, und die Kritiker sagen: Wow, man sieht es nicht, aber es ist super, es ist neu, weil es verblüfft. Und verlegen die Vorstellung in Wahrheit in ihre autistischen Vorstellungszirkel. So werden aus Künstlern, Kunstschaffenden, Bluffer, geschickte Zauberkünstler, und vor allem: Blender.


Morgen Teil 2) Man spielt sich die Theater leer



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