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Samstag, 2. Mai 2015

Im Anfang war die Kunst

Kunst sieht das Wirkliche als das eine Sache, ein Seiendes Bewegende. Sie geht deshalb auf das Wesen, und setzt deshalb im Allgemeinen an, aus dem sich das Vereinzelte, das Geschichtliche, das Relative erhebt. Sie legt damit das Heilige der Welt frei, das, aus dem sie ist, west und lebt.

In der im Laufe der Kulturentwicklung ausgefalteten Wissenslandschaft - das über ein Wesen noch Gewußte, Erfahrene, Vielfältige - muß man in zwei Bereiche gespalten sehen. Im einen verdeckt es das Wesentliche, und muß im Rahmen der Kultur freigedacht werden. Im anderen differenziert sich das Wesen vom Allgemeinen Wesen zum immer spezifischeren, individuelleren Wesen, in dem sich immer zahlreichere Wirklichkeiten in je ihrer Ebene, hierarchisch geordnet, mischen. Vom Tier zum Löwen zu DIESEM Löwen. Das ganz spezifische Individuelle aber ist nicht erkennbar, es ist und bleibt ein Geheimnis.

Im Allgemeinen aber ist alles erst noch gesichtslos, "ist" nicht, ist nur "möglich". Es steckt noch im Leib der Mutter, in der Höhle als erstem Berührungsort des Ewigen, reinen Wirklichen zur Welt hin, wo es allmählich zum Vereinzelten wird, weil mit anderem Vereinzeltem zu tun hat, um alles in sich zum Einen zu führen, das geistige Gestalt annimmt: im Erkennen.

Diese Tatsachen des Erkennens als Wesen des Menschlichen waren bei keinem Menschen egal welcher Kulturstufe und Geschichtsepoche je anders. Der Mensch aber begann als Künstler, er begann aus der Kunst. Diese Verbindung aber wurde durch das antithetische Denken zerrissen, in dem sich der Mensch von der unmmittelbaren Umschlossenheit mit der Welt der reinen Wirklichkeiten (die pure Sakramentalität war) herausriß - die Erbschuld, die Ursünde. Fortan muß er mühsam diesen Anschluß ans Leben suchen, sonst fällt er ins Nichts. Er wurde sich selbst fremd, teilte sich in Objekt und Subjekt. Er muß zu jenem Punkt hindenken, an dem die Welt "für sich" sich wieder ins Eine, Heilige, Lebensspendende öffnet, frei wird dazu, damit alles Vereinzelte überhaupt erst werde.

Das, was wir heute als Kunst zumeist bezeichnen, wurde im Kult, diesem aus der Zeit herausgegriffenen, künstlich geschaffenen Sonderraum des Paradiesischen (in dem Himmel und Erde sich liebend umschlangen, in dem Gott in den Gärten Edens wandelt), geboren, als Pharmakon des Lebens, ohne das alles sterben würde. Denn die ganze Welt wird aus der Kunst - sie wird und ist aus der Liturgie, dem Kult, dem Mutterschooß alles Vielfältigen, das sich ineinander ins Geschichtliche verwebt. Seit diesem Bruch muß aber der Mensch diese trennende Wand im heiligen Akt selbst durchstoßen, im der losgerissenen Welt Sterben - sie zum Leben öffnen.

In der Kunst wird deutlich, woraus die Dinge wirklich sind. Und warum sie mit Ehrfurcht behandelt werden müssen, weil aus ihnen das Leben selbst, das reine Wirkliche durchblickt. Nur aus dem Wirklichen aber kann Welt sein. Die Kunst (und man darf auf dieser Stufe die Liturgie nicht davon trennen, denn sie ist die reinste, ursprünglichste, vollkommenste Kunst) hält es präsent. Sie hält damit die Welt im Bestand. Die Heilige Messe, das Antlitz des Wirklichen selbst, Gottes, hält die Welt im Bestand, weil sie im Sehen an diesem Wirklichen, das alles Vereinzelte in sich enthält und aus sich hervorgehen läßt, teilhaben kann.


Steinzeitliche Höhlenbilder aus der Grotte in Chauvet, Südfrankreich.


Bild: Frankfurter Allgemeine

Bild: Frankfurter Allgemeine

Bild: Frankfurter Allgemeine




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