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Sonntag, 31. Mai 2015

Erst ist man Türke, Deutscher oder Franzose

Es wird zuweilen gerne davon geredet, daß es DEN Deutschen, DEN Iren, DEN Franzosen, DEN Türken, DEN Österreicher nicht gebe. Denn es lebten in diesen Staaten doch sehr viele unterschiedliche Mensche, Volkschaften, Gruppen, und die seien alle gesondert zu betrachten. 

Mit Verlaub, das ist ein Irrtum, der nicht der katholischen, in der Tradition der philosophia perennis stehenden Anthropologie entspricht, wie sie etwa Johannes Messner in seiner großartigen Gesamtschau "Das Naturrecht" umfassend dargelegt hat. Vielmehr stammt diese Aussage aus der der Aufklärung entsprungenen Umkehr aller Dinge, in der die Welt atomistisch aus dem Kleinen aufbauend neu definiert wurde. Entsprechend wird der Mensch individualistisch gesehen, und alle Gemeinschaft, der er zugehört, wird mit Vertragsverhältnissen definiert. 

Aber das ist falsch, so ist die Welt nicht, und das ist auch nicht die Wirklichkeit: Es ist erst das Ganze, das dann das Einzelne "als" etwas in der Welt bestimmt, und seine Beziehungen, in die er "geworfen" ist (meinetwegen mag man es hier so nennen), ergeben sich aus diesem Gefügeganzen. Dessen Teile zwar je auch ein Eigensein haben, so wie es eine Leber oder eine Milz gibt, die Eigengesetzt haben, über ihren Platz im Insgesamt des Organismus, aber vom Ganzen nicht getrennt werden können. Auf das sich dieses Eigensein bezieht, und von dem her es in seiner Identität bestimmt ist. Nimmt man diese Entitäten aus dem Ganzen heraus, sind sie nicht mehr lebensfähig. Denn Leben heißt - Beziehung leben, in Beziehung sein.

Wenn auch die menschliche Grundkonzeption das Personsein ist, so ist dessen Aktuierung von zwei Dingen grundlegend bestimmt, deren erste ... der Staat ist, deren gewissermaßen physische Aktuierung dann in der integer zu sein habenden Familie stattfindet. Aus der heraus er dann als Erwachsener seinen eigenen Platz in der Gesellschaft einnimmt. Dieser Platz aber, damit die Identität, bezieht sich zu allererst aus und auf den Staat. Der erst alle Bewohner einer Region, eines Volkes, bestimmt, auf den sich alles bezieht, was dann der Einzelne als Aufgabe und Bezugsgröße vorfindet. Aus denen heraus, in die hinein er sich dann entwickelt. Hat er das nicht, ist seine Entwicklung bestenfalls unbestimmter Wildwuchs. Umgekehrt ist ein Staat dann gerecht, wenn er Bedingungen schafft, schützt, bietet, in denen sich seine Teile zu ihrem Eigensein - im Rahmen des Gesamtseins, das Vorrang in der Wertehierarchie hat - zur Vollkommenheit hin entwickeln können. Vorrang deshalb, weil eben der Mensch Sozialwesen IST, und deshalb das Gemeinwohl, das Insgesamt auch die individuellen Entfaltungswillen voraussetzt wie die Entfaltung mit sich bringt und ermöglicht. Aus demselben Grund gibt es gegenseitige Verantwortung zwischen Staat und dem Einzelnen: die Fehlentwicklung des einen beträfe direkt die Entfaltung des anderen.

Zwischen Staat und Einzelnem muß also ein Vertrauensverhältnis bestehen bzw. sich entwickeln können. Und dieses ist nur auf der Grundlage der Religion möglich, weil das Verhältnis zum Sein überhaupt - das Sein ist auf anderer Ebene das alles umfassende, ursprüngliche Du eines Jeden; ohne Gott würde alles ins Nichts fallen, auch und vor allem der Mensch, und mit ihm die Schöpfung (das ist nicht trennbar!) - alles in seiner ersten und tiefsten Tiefe bestimmt. Nur, wenn dieser Bezugspunkt für Staat (in seiner Repräsentanz in der Politik) wie Einzelnen gleich ist, kann sich gedeihliches Zueinander entwickeln. In diesem Sinn ist eine Trennung von Politik und Religion gar nicht möglich, denn Politik IST realisierte Ethik. Recht IST Person (wie Rosmini so einleuchtend, wenn auch nicht auf leichten Anlauf hin verstehbar, darlegt), Person (als fundamentale soziale Dimension) IST Recht. So, wie der Staat nur als Person vorstellbar ist. 

Und als solche ist er mit einem auf die regionalen, landschaftlichen, klimatischen, nachbarlichen Gegebenheiten bezogenen Gewese mit einem bestimmten Charakter ausgestattet. Noch völlig unabhängig davon, wie seine Bevölkerungsteile aussehen, auf die er ja als humane (kulturelle) Erscheinung in jedem Fall bezogen ist. Genau so, wie es ihn ohne ehelichen, unauflösbaren Bezug zu Boden, Landschaft etc. nicht geben kann, weil auch das Menschsein diesen Bezug unabdingbar braucht.*

Es ist also DER Türke, DER Deutsche, DER Spanier ZUERST da, gleichgültig, wieviele Volkschaften, Stämme und Familien in einem Staat leben mögen, und gleichgültig, wie "unterschiedlich" sie auch sind. Zuerst ist der Nomos, das Beziehungs- und Wertegefüge, dann der Einzelne, auch wenn das Gesamte AUS den Einzelnen besteht. Dann erst wird ein Mehmed, Bernhard oder José - wozu ihn die Gemeinschaft als einen der ihren ruft. Die ihm den Namen, das Zubehör zum Personsein als Aufruf, ein Name zu sein, diese zu erfüllen, als Vorgabe, gibt. 

Das er dann ins Individuelle hinein sich aneignet (das aber wieder immer nur individuell DURCH und in seinen Bezügen in einem Ganzen ist), und damit (als Durchtränkung vorstellbar) das Wesen von Gemeinschaft verwandelt - aktuiert. Jenes Entitätengemenge, in welche jeweils hinein er sich transzendieren muß, um Individuum zu werden. Und sei es als Gegenpol, als Außenstehender - auch der Eremit, der Einsiedler, ja gerade er ist nämlich auf ein Insgesamt, auf das Universale nämlich, bezogen, in dem das Einzelne keineswegs fehlt, sondern das es lediglich über- bzw. miteinbegreift.

Aber der Staat ist eine Analogie zum Reich Gottes, der Kirche,** der ontischen Gesamtordnung des Kosmos, ohne die kein Mensch in seinem ganzen Bemöge geglückt zu leben vermag.*** Sie ist jenes Du, aus dem sich das Ich nach und nach gleichfalls aktuiert, weil sich in diesem Individualsein die vollkommenste Analogie zur Freiheit als Person - Gott ähnlich - ausbildet. Eine Freiheit, die aber nur als Bezug auf das Ganze real ist, sonst bloße unerfüllte Möglichkeit bleibt. Was auch ein Mensch deshalb zu tun hat, in welche Aufgabe hinein er sich transzendiert, um durch sein Sterben zu leben: Es ist auf die Gemeinschaft bezogen, den Staat, die Kirche.




*Der sogenannte Weltbürger, der Kosmopolit, ist nicht der, der zu nichts Gebundenheit und eheliche Beziehung hat, sondern der, der sie ZU ALLEM hat. Deshalb wird nicht jeder, der viel reist, oder Wohnsitze von New York bis Thailand hat, automatisch Kosmopolit. Gerade heute sind das sogar die entsetztlichsten Spießerkreaturen, die mit NICHTS verheiratet sind, und das zum Kosmopolitentum umschönen. Denn der Entwurzelte (!) ist der prototypische Kleinbürger, und seine politische Tendenz kann gar nicht anders sein als totalitär, weil ihm jenes Sein fehlt, das ihm als Du das Ich gibt, sodaß er immer im Nichts schwebt, aus dem er sich krampfhaft zu befreien sucht. Nur wer sich eingeborgen weiß in das Sein selbst - und damit in die Vorsehung der unendlichen Vernunft, die die Wirklichkeit von allem ist, und die erst etwas in Teilhaberschaft wirklich macht - hat jene Gelassenheit, in der er liebend um das Relative, aber auch den Ernst des Irdischen als Ort der Wirklichung weiß, ohne es zu verachten.

**Aus dieser ontologischen Tatsache heraus werden jene Strömungen zumindest verständlich, die den Staat vergöttlichen wollen oder wollten. Denn es sind zwar die ontologischen Gegebenheiten, die die Kategorien des menschlichen Seins tragen. Es ist aber Aufgabe der Sittlichkeit des Menschen, diese Gegebenheiten zu aktuieren. Und Sittlichkeit bedeutet ständiges Loslassenkönnen des Irdischen, weil der Primat der Gottesliebe, der Wille Gottes, der ordo, die Vorsehung über allem steht, einerseits, aber anderseits zu wissen, daß die ernste, selbsthingebende Wirklichung eines Konkreten, einer in der Zeit gestellten Aufgabe, genau dieser Ort des Hineinwesens ins Leben selbst ist.

***Das steht hinter der Reichsidee, in der die gesamte Erde unter einem Herrscher zu stehen käme, und nur daraus wäre eine Weltregierung gerechtfertigt weil legitim. Aber genau deshalb tendiert die Menschheit - immer, zu allen Zeiten - zu einer solchen Weltregierung, auch wenn sie sie meist als Karikatur versucht: weil der Mensch in seinem Sein darauf bezogen ist, und nur daraus existiert. Ohne diesen Bezug auf die Kirche aber, ohne diese Anähnlichung, KANN dabei gar nichts anderes als Zentralismus entstehen - und der ist widermenschlich. Deshalb hat die Kirche historisch belegt bis in die Neuzeit hinein immer den Gegenpol gegen solche politischen Tendenzen geboten, wo sie nicht ZUERST auf diesen göttlichen, universalen Ordo ausgerichtet war.





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