"Die menschliche Gesellschaft ist als Ganzes von solcher Ganzheitlichkeit, daß der Einzelmensch erst durch seine Teilhaftigkeit als Glied der Gesellschaft sein volles Menschsein besitzt, Mensch ist in der Seinsvollkommenheit, die Gottes Schöpfungsplan dem Menschen zugedacht hat.
Nun erreicht der Mensch das Vollmaß der ihm erreichbaren Vollkommenheit, die allseitige Entfaltung seiner Persönlichkeit, nur durch die Verwirklichung seines ganzen Wesens, also auch seiner gesellschaftlichen Wesensanlage.
Aus alledem erhellt: die menschliche Gesellschaft - hier in der rein natürlichen Ordnung betrachtet - ist in der Tat kein bloßes Mittel für den Einzelmenschen zur Erreichung seines Zieles, sondern besitzt echten Eigenwert. Dieser nicht nur an Wertfülle, sondern auch der Wertstufe nach den Einzelmenschen überragende Eigenwert sichert ihr eindeutig den wertmäßigen Vorrang vor dem Einzelnenschen. Mit diesem ihrem Eigenwert nimmt die menschliche Gesellschaft auch in der rein natürlichen Ordnung teil an jener letzten Vollendung, an jener Verherrlichung Gottes und Beseligung in Gott, die in dieser Ordnung allein erreichbar sind.
Bei alledem bleibt unerschüttert bestehen: die menschliche Gesellschaft mit all ihren Werten besteht nur in den Einzelmenschen als ihren Glieder, auch die letzte Vollendung, deren die Gesellschaft fähig ist, erlangt sie nur in ihren Gliedern und für ihre Glieder.
Noch mehr kommt das ganzheitliche Moment in der übernatürlichen Ordnung zur Geltung: Der einzelne in der übernatürlichen Ordnung ist angenommenes Kind Gottes, gewiß eine überaus hohe Würde. Das GANZE aber ist der ganze Christus ... Darum ist in der übernatürlichen Ordnung das Ganze den einzelnen an Wert und Würde schlechthin unendlich überlegen. Das Ganze nimmt teil an der göttlichen Würde und Hoheit des Hauptes Christus, die einzelnen als solche sind und bleiben gnadenhaft erhobene Geschöpfe."
Oswald von Nell-Breuning S.J., in "Einzelmensch und Gesellschaft"
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