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Mittwoch, 10. Juni 2015

Form als Ort der Person

Die Frage nach der Person ist nicht durch abstrakte Betrachtung zu lösen, schreibt Guardini. Denn es "gibt" diese "Person" nicht, nicht in Existenz - wenn sie sich nicht in konkretem Dasein äußert, in dem sie selbst - in Selbststand - steht. Das heißt, daß die Frage nach der Persönlichkeit von der Frage der Formalität des menschlichen Lebens niemals zu trennen ist. Person gibt es nur IN der Ehe, IN der Freundschaft, IN der Aufgabe im Beruf, IN der Aufgabe in der Familie etc. etc. Und diese Position, diese Verortung ist eine ontologische Frage, keine eines bloß situativ-relativen Werdens, wie etwa die Philosophin Gerl-Falkovitz immer wieder so gefährlich betont. Erst in dieser ontologischen Verankerung wird das in den zeitlich-relativen Formen verstehbar, ja möglich, und zur Natur. Das Maß der Variabilität bleibt im Akzidentiellen, Zufälligen (als gewisse Variabilität im Aussehen, der Gestaltvarianten), nicht im Substantiellen, so sehr dieses Substantielle sich mit der historischen Gestalt untrennbar verschmolzen zeigt.

Aber Personalität zeigt sich dann gerade darin, daß es diese historische Gestalt, dieses Formale, besitzt, und insofern individualisiert, ALS es der Formalität in der subjektiven Gestalt genügt. Denn dieses Historische ist je der Zielpunkt, auf den hin sich der Mensch zu überschreiten hat, um seine Hoheit als Person, im Selbstbesitz, zu gewinnen. Denn nur so wird er zu seinem freien Selbst - in der Bindung an die Form. Deshalb kann sich die Kulturgeschichte nicht in dramatischen, radikalen Sprüngen darstellen. Sie kann nur behutsam, je auf dem Boden des Überlieferten, voranschreiten, in dem sie das je ontologisch Wahre, Bleibende, die Natur also, je neu als alles durchwirkenden Maßstab (Kategorie) einläßt. Um so in sich zu stehen - als Person.

Als Wissen, daß ich ich bin. Unverdrängbar. Immer derselbe. Unersetzbar. Und zwar genau an der Stelle eines formalen Gerüsts, an der ich stehe. Bleibe ich außerhalb alles Formalen, wird die Personalität gar nicht wirklich, bleibt unerfülltes Drängen, weil alles Ontologische (Wort) nach Wirklichung drängt.

Und damit wird auch klar, daß diese Freiheit als Person, in Personalität, einhergeht mit der Stärkung des formalen Gerüsts, das wir dann als Gesellschaft, Staat, Familie etc. identifizieren.

Umgekehrt läuft der Versuch, Formen des Gemeinschaftslebens quasi "offen" zu halten, ohne formale Definition zu halten, auf eine Auflösung des Personalen als Weltfaktor hinaus. Denn auch das, was für die Person so entscheidend ist - die Beziehung zum anderen - wird zu einer solchen Beziehung erst im Rahmen des Formalen, Begrifflichen, des Namens, "als der und der".

Deshalb ist es auch lächerlich, wie heute von "Beziehung" zu sprechen, wenn man etwa das zwischengeschlechtliche Zueinander meint, das ohne Ehe auszukommen meint. Denn diese Beziehung gibt es gar nicht. Und ihre "Probleme" stammen - man muß nur genau hinsehen und zuhören - sämtlich aus dieser Begriffs- und Formlosigkeit. Die heutigen "Beziehungen", aber auch die vermeintlich "befreienden" Zweit- und Mehrfachehen, sind also simpler Rückfall ins tiefes, rohes Barbarentum, und ihre Mechanismen der Erhaltung bloßes Ausreizen der Möglichkeiten der Selbsttäuschung. Sie treten einander nicht als "Ich und Du" gegenüber, sondern lediglich als Subjekte bestimmter Strebungen, die sie (sich) zu erfüllen trachten.

Und wozu man halt den anderen braucht; die Befriedigungen des je anderen werden zur Konzession aus Pragmatik: man nimmt sich als Werkzeug im Zusammenhang von Zwecken. Für ein in-sich-Zweck-sein, für ein Wegheben der Hände, bleibt kein Platz, die "Beziehung" löst sich augenblicks auf, sie umfaßt die Personalität nicht. Die personale Liebe beginnt nicht mit dem Schritt auf den anderen zu, sondern VON IHM ZURÜCK.

Damit mache ich den anderen erst vom Objekt zu einem Du, und ich selbst trete aus der Haltung des gebrauchenden oder kämpfenden Subjekts in ein Ich. Im Wagnis der Freiheit, zurückgeworfen auf Verantwortung (der Form gegenüber, als Ort der Person), weil die Quasi-Sicherheit der aktiven Haltung (ohne die alles zerfallen könnte) wegfällt. Gibt es diese Formalität aber nicht, die die Definition des Zueinander und damit dieses Zueinander IST, bleibt nichts. Das Zueinander von Menschen drängt deshalb immer zu einer Form. Und seien es (in ihrer tragischen Machtlosigkeit rührende Hilflosigkeit demonstrierende) Ersatzhandlungen wie an Brückengeländern festgenietete Schlösser mit den jeweiligen Initialen. Personales Schicksal entsteht erst dort: in dieser ungeschützten, von keinem Akt aktuell gestützten Offenheit des Du-Bezuges. Das Ich aktuiert sich dort.*

Das Personale, die Person, ist die Durchdringung dieser innernatürlichen Formalität (denn Welt IST gewissermaßen Formalität: was immer IST, ist nur WEIL es Struktur, Form ist ergreift und zugleich ergriffen wird), und ihr Hineinheben in die Größe des Selbstbesitzes eines "Ich", einer Person. Die Grenze der Sprache (der Begriffe) ist damit die Grenze der Welt - denn etwas, das (noch, oder wieder) kein Stein ist, ist ... was? (Man denke das bis zum Atom durch.)




*Deshalb bietet natürlich auch eine institutionell geformte Ehe keine Garantie auf Bestand einer Familie. Aber sie ist trotzdem - weil sie und nur sie direkt mit der Personalität konfrontiert, und sei es über die Unerfülltheit - jeder formlosen "Beziehung" um Dimensionen überlegen, selbst wenn diese in ihrer Zweckhaftigkeit scheinbar größere (materiale) Früchte trägt oder länger hält. Gleichzeitig erklärt sich auch die Beobachtung, daß in einer Ehe fast immer die Frau (aus ihren mehr materialen Geneigtheiten - mater/materia ...) die Schwächere ist, die häufiger als der Mann an den Grenzen dieser personalen Freiheit des Du/Ich kratzt und "Zweckhandlungen" (etwa als "Liebesbeweise") verlangt. Genauso erhellt, wie die Männern meist gut (und gar zu gut) bekannte (und durch Untersuchungen bestätigte) Tatsache, daß Frauen relativ leicht zu Seitensprüngen bewegt werden können, ohne diese freilich zu initiieren. Frauen, die auch das tun, sind eigentlich bereits krank und eheunfähig. 

Worin sich einmal mehr die Tragödie der Ehegerichte der Kirche erweist, deren Proponenten Menschenkenntnis auf oft schon erschreckende Weise abhanden gekommen ist, was gerechte Urteile in Annullierungsverfahren immer unwahrscheinlicher, zufälliger macht. Die ja dennoch und in jedem Fall bindend sind, und zwar als Leidensfaktor genau (und nur) den, der ja schon zuvor der Leidtragende des Ehedefekts ab/prae ovo war. Der VdZ hat aus eigener Anschauung kein Vertrauen in die Fähigkeit kirchlicher Gerichte, außer in offensichtlichen Fällen (die selten sind) Eheunfähigkeit überhaupt zu erkennen.