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Dienstag, 23. Juni 2015

Nicht Goethe, sondern Herder

"Ein Mann wie Goethe vermag kein Volk zu verwandlen, das vermag nur der Typus Herder. [...] Nicht Goethe, sondern Herder war es, der im späten 18. Jhd. das deutsche Antlitz zu verwandeln begann. Goethe hat in erstaunlich geringem Maße den geistigen Wandel der Deutschen um 1800 bewirken können. Er verstand die klügste aller Künste, zu dem neuen Leben, das rings um ihn aufschoß, in immer neuen glücklichen Redewendungen Ja zu sagen. Und dieses Jasagen erweckte den Anschein, als sei das alles von ihm bewirkt, 'sein Werk'. [...]

Zu einem Kinde Ja sagen heißt nicht, daß man es auch erzeugt hat. Herder dagegen hat zu vielem und mit Ingrimm Nein gesagt, was dennoch von ihm bewirkt war. Es ist Herder gewesen, der die deutsche Seele verwandeln half. Sein schöpferisches Werkzeug war die Romantik. Das meiste, was romantisch heißt, stammt von Herder. [...] Der Sammelname Romantik hat den Namen Herder verschluckt. [...]

Zurück zu Herder. Denn was könnte uns Goethe helfen, der Bildungsaristokrat und Individualist, wo es um die entscheidenden Fragen unsere Gesellschaftslebens geht. Die entwurzelte Masse, die sich heute als Volk gebärdet, der gerade fehlt, was Herder suchte, das Unentwickelte, das Ursprüngliche, das Erneuernde, die muß in Herders Sinn wieder mit der Erde verflochten werden. [...] Der Kulturtypus unseres werdenden Zeitalters ist nicht Goethe, sondern Herder." 


Josef Nadler in "Deutscher Geist - Deutscher Osten", ca. 1937






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