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Montag, 21. Juni 2021

Bleibt doch nur ein Elfenbeinturm

Sofern es darum geht, daß ein Leben als Dichter ein generelles Heben des Sprechens ist, dient auch jede sonstige Äußerung in Schriftform diesem Ziele: Mich durch Übung in einem permanenten Habitus des Dichtens zu versetzen, als Daseinsform, neben der es keine andere mehr gibt. So will ich leben. Und dafür muß ich arbeiten. Dies und das noch wegputzen, dies und das noch einbauen. Vor allem aber ... immer schreiben. Schreiben als Lebensform, das ist es schließlich.

Das ist der Grund, warum sich in meinen Äußerungen selbst banalster Angelegenheiten immer ein- und derselbe Formkampf abspielt. Selbst wenn ich die Bahnkarte bestelle, ringe ich um die Belebung der nackten Worte durch den Anschluß an die Sprache der Sprache, an den logos, dieses alles begründende Wort Gottes.

Wie sehr ist deshalb die Abgeschlossenheit notwendig, ich kann nur immer wieder auf Proust hinweisen, der darum gewußt hat. Und sich schließlich in jene Phase gekommen sah, in der seinem Schreiben jedes "Kommunizieren um einer Sache willen" unbewältigbar wurde. Weil einmal aufgenommene Worte anderer, um "etwas zu erledigen" (sagen wir), in einen nicht mehr endenden Prozeß des Mahlstromes hineinfallen, aus dem es kein Entkommen gibt, bis auch die kleinste Faser nicht einfach aufgelöst, sondern ins Fließende integriert, also als Separatwort überwunden ist. 

Sodaß die Formulierung eines Antrags um Stromanschluß zu einer existentiellen Formfrage wird. In der sich dieselben - wirklich: dieselben! - Probleme stellen als ginge es um die Ausarbeitung des dritten Kapitels in Dantes Inferno.

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Es bleibt letztlich also doch nur der Elfenbeinturm. Weil es nicht geht, anders zu existieren, ohne verrückt zu werden.

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Doch ist dem VdZ klar, daß diese Form des Existierens (noch dazu wenn sie proklamiert wird, als Schild, das man vor sich herträgt, weil man es einmal irgendwo formuliert, das heißt: geschrieben hat) es den Mitmenschen unglaublich leicht macht. Denn sie können alles, was der Dichter tut, aus dem Spiel nehmen! Allem seinem Tun, Sprechen, Äußern die Gestalthaftigkeit absprechen, sodaß es als Welt und in der Welt keine Bedeutung hat. Das entlastet aber beide Seiten enorm, und ist von Lieblosigkeit oder Verantwortungslosigkeit nicht mehr zu unterscheiden. 

Was zur Frage führt, ob nicht das Schreiben eine Existenzform ist, der es zwar nicht an Wirklichkeit mangelt ...

... denn die Erfahrung des Wirklichen ist keine Frage der Gestalt, sondern eine der Flexibilität, in der man in Kostüme schlüpft, um diese Kostüme dann (sich! es geht nur um Kostüme! auch im größten Ernst! ja sie sind nur mit größtem Ernst zu tragen, sonst passen sie sowieso schon nicht!) in ihrem Eigenwesen zu erfahren. Wer aber keinem Kostüm zugehört, sondern wem alle Kostüme quasi passen (können), wer also kein Kostüm im strengen Sinn "hat", der spielt gewissermaßen "außer Konkurrenz". Sobald es weh tut, kann sich jeder Mitspieler sagen: Ach, der gehört ohnehin nicht zum Stück, diese Musik spielt woanders. Also kann man den ignorieren ... (was gleich zur nächsten Frage führt)

... aber in der man der Welt ausweichen kann. Und DESHALB schreibt. 

Sind nicht auch Invertierte (also Reflexive, die aber nicht "etwas zu sagen haben", sondern sich selbst zur Spielebene des Selbstdramatisierens werden, wo sie auch sich selbst Publikum sind, dessen Zuschauerränge aber so mit Pappkameraden vollgestellt werden, daß jede Staatsoper vor Neid zerfließen würde) besonders häufig "Schreibende"?

Aber was war das mit der nächsten Frage, siehe oben? Ah ja - deshalb sollte ein Publikum nie erfahren, daß hinter einem Text, einem Stück, einem Was-auch-immer-Werk, eine reale Person steht. Die sollte es nicht geben, aus zweifachem Grund. Einmal, weil der Schreibende als personale Gestalt in keinem Kostüm mitspielen will, und dann, weil der Schreibende eben nur in der Form des Textes existiert, den Text für sich setzt.

Aber gerade in diesem Text damit eine Wucht und Kraft und Bedeutung für die Welt hat, die ... verdammt, es wird einem ganz eigenartig, denkt man das ... dem Wesen des Wortes, das im Anfange war, das bei Gott war, das Gott war, vom Wesen her zum Verwechseln ähnlich schaut.

Hat man das Wort nicht ab dem Moment entkräftet gesehen, in dem es in Jesus inkarniert ist? Der Dichter sollte aber nie inkarnieren. Er ist ja nicht Gott.

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Ach ja, eine Möglichkeit gäbe es denn doch ... Der Dichter könnte eine Kunstfigur schaffen. In deren Kostüme er dann steigt, sobald er seine Wohnung verläßt, um, sagen wir, Brötchen zu holen. Das soll es geben. Und da hört man zuweilen dann auch, daß dieser und der Dichter "so nett und verträglich" sein solle. Der es aber nur vermochte, eine nette, verträgliche Figur zu schaffen, in der er dann auf die Straße ging in der Hoffnung, seine Nervenkraft reiche lange genug, im Kostüm - und damit nett und verträglich - zu bleiben.




*170621*