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Freitag, 18. Juni 2021

Der Atheist denkt kurzfristig erfolgreicher (2)

Der Versuch, einer banalen Erkenntnis mehr Allgemeines herauszupressenHitler hatte geschickt mit dem Wahnsinn Stalins gespielt, das scheint klar. Der nun das nächste Stadium auf dem Weg zur Paranoia erreichte, und großangelegte Säuberungen vornahm, mit denen er bei der Armee begann. Und in deren Zug er alleine bis 1939 geschätzte zwanzig Millionen Sowjetbürger beseitigen ließ. Aber nicht nur Tuchatschewski hatte zu kurz gedacht, auch Stalin. Die spektakulären Anfangserfolge der Wehrmacht 1941 waren nicht zuletzt der Unerfahrenheit der neuen Führungsriegen der Roten Armee zuzuschreiben.

Seine Paranoia hatte der sowjetische Diktator aber gar nicht zu Unrecht. Denn man darf nicht vergessen, daß auch er vor dem Sein stand, sodaß sich also auch sein Gewissen aus diesen tiefsten Tiefen in der Spannung zum Sein selbst befunden hat. Schon gar, wo er doch als gläubiger Orthodoxer aufgewachsen, ja sogar für kurze Zeit Zögling in einem Priesterseminar war. Weil es aber einer wirklichen Auseinandersetzung des Gewissens fehlt, sucht es Ersatzräume, in denen es sich archetypisch entfaltet. Bei Stalin war es ein immer paranoideres Verhältnis zu seiner Umgebung und zu seinem Land, das in immer zügelloseren Blutbädern Entlastung suchte. In Deutschland jedenfalls war der spätere Marschall Michail Tuchatschewski, der schon unter dem Zaren Offizier war, durch eine aufsehenerregende Studie aufgefallen. In der er die Gründe für das Versagen der deutschen Kriegsführung untersucht hatte, das bereits in den Monaten des Jahres 1914 die Niederlage unvermeidbar gemacht hatte.

Der russische General hatte die Erfahrung gemacht, wie sehr ein moderner, durchorganisierter Staat und seine Armee im Maß seines Zentralismus anfällig war. Fällt der Kopf, löst sich das Land und seine Armee auf. Hätte Deutschland 1914 den Schwerpunkt seiner Kriegsbemühungen in den Osten verlegt, hätte es mit dem dargestellten ersten Streich binnen Wochen den Krieg im Osten gewonnen, und sich dann dem Westen zuwenden können.

Der Krieg wurde also seiner Ansicht nach verloren, weil die Gesamtstrategie verfehlt war und die deutsche Führung nicht in modernen, rein zweckorientierten (also: technizistischen) Kategorien denken konnte. Die deutschen Stärken lagen aber damals in der Beherrschung der Ostsee. Dazu war die Flotte allemal in der Lage. Gemessen an den deutschen Möglichkeiten, waren deshalb dann sogar die Schlachten in Ostpreußen, von Tannenberg bis zu den Masuren, zwar nominell erfolgreich. Doch kosteten sie hohen Blutzoll, und waren im Endeffekt sinnlos.
Rußland war 1914 ein Zentralstaat, wie er im Buche stand. Sein gesamter Kopf befand sich in Sankt Petersburg. Deutschland hätte also 1914 in einem konzentrierten Schlag seine gesamte Flotte einsetzen müssen, um schon in den ersten 48 Stunden des Krieges die russische Zentrale Sankt Petersburg von der See her angreifen, 50.000 Mann anlanden, und so die Zentrale der Armee ausschalten müssen. 
Es wäre der russischen Armeeführung niemals gelungen, ausreichend Truppen heranzuführen, sodaß die Stadt innerhalb weniger Tage in deutscher Hand gewesen wäre.
Die Folgen? Binnen Wochen wäre der russische Widerstand gegen deutsche Angriffe auf Zentralrußland am internen Chaos zusammengebrochen, und das Land hätte kapitulieren müssen. Denn je zentralistischer ein Land ist, desto anfälliger ist auch eine Armee, sich bei Verlust des zentralen Kopfes rasch aufzulösen.

Wenn man will, haben sämtliche Offensiven des Ersten Weltkrieges Tuchatschewskis Thesen bestätigt: Westfeldzug 1940, Rußland 1941, Afrika 1942 und 1943, die alliierten Offensiven in Frankreich nach der Invasion 1944, oder die russischen Durchbruchsschlachten in Polen 1945 wurden zu Beispielen dafür, was eine Armee erreichen kann, wenn sie nicht von der Zentrale abgeschnitten ist, damit den Zustand der Organisiertheit auch im (relativ unsteuerbaren) Fortlaufen einer Armee nach Beginn eines Angriffs beibehält, und den Angriffsfluß aufrechthalten kann.*

Wird die Armee eines zentralistischen Staates aber von modernen, überlegenen Kräften angegriffen und muß sich zurückziehen, wird der Rückzug binnen kürzester Zeit zu einer heillosen Flucht. Zumindest, solange der Feind den Angriffsfluß aufrechthalten kann. (Genau das ist übrigens auch mit der österreichisch-ungarischen Armee in Galizien im August 1914 passiert.) 

Damit erklären sich (zumindest diesen Thesen nach) die eigentlich kaum erklärlichen und katastrophalen Niederlagen der Roten Armee in der ersten Phase des Unternehmens Barbarossa ab Juni 1941. Obwohl die Wehrmacht zahlenmäßig (zum Teil erheblich) unterlegen war, gelang es der Roten Armee nicht, nach der Überraschung den Rückzug zu organisieren. Ihre Verbände lösten sich auf, obwohl die einzelnen Soldaten verzweifelten Widerstand leisteten, und es kam zur Kriegsgefangenschaft ganzer, nun führungsloser Armeen.

QR Tuchatschewski
Wir erinnern uns an den spektakulären Stillstand der Sichelschnitt-Offensive der deutschen Armeeführung. Auch hier kam es zum Abreißen der Verbindung mit der Zentrale, woraus Verwirrung folgte, die wiederum in immer unkoordinierteren taktischen Zielen, und letztlich mit dem Stillstand der Gesamtoffensive endete. Schon nach wenigen Wochen war damit der Krieg verloren. Weil Deutschland einen Abnutzungskrieg unmöglich gewinnen konnte.

Der wahre Grund war nach Tuchatschewskis Thesen aber schon lange vorher besiegelt. Weil das Vorhaben selbst nicht zu riskant angelegt war, das war es gar nicht. Sondern weil Deutschland eine falsche Schwerpunktsetzung hatte. 
Aber wir widersprechen hier. Denn man führt keinen Krieg, um ihn mit allen Mitteln zu gewinnen, sondern um ihn richtig zu führen. Wie Tuchatschewski dachte, so kann eben nur ein Atheist denken. Unter dessen Händen aber die Welt zur unmenschlichen Hölle wird. So bekommt es eine feine Ironie, daß auch Tuchatschewski den Säuberungen Stalins zum Opfer fiel.

Morgen Teil 3) Warum war das den Deutschen selber nicht eingefallen?


*050621*