Dieses Blog durchsuchen

Sonntag, 13. Juni 2021

Gedankensplitter 1165b (Einer von den ganz Wichtigen!)

Der Andere, der Fremde, der Bruder, der Kollege - Haben wir wirklich vergessen, was doch jeder selbst erlebt, der vom Dialekt oft so mühsam zur sogenannten Hochsprache erzogen werden muß? Ist uns nicht nachvollziehbar, daß "wir Deutschen" (als Glieder deutscher Völker) schon automatisch in zwei Sprachen hineingeboren werden? Die, gewiß, viel miteinander zu tun haben, ja. Die aber doch auch so unterschiedlich sind, daß sie jeweils extra erlernt werden müssen.
***
 Kommt nicht auch die heute so oft monierte Rechtschreibschwäche genau aus dieser Ecke? Daß in dem an sich nicht falschen Ansatz "nach der Rede zu schreiben", diese kleine Tatsache übersehen wird: Daß wir alle, zumindest wir alle, die noch bis zu den 1960er Jahren geboren sind, in den Schulen eben "Deutsch" gelernt haben, im fast täglichen Unterricht, und das war etwas völlig anderes als das, was wir nach der Schulglocke, die das Ende der Stunde anzeigte, sofort gesprochen haben? So anders, daß jeder aufgefallen ist.
Wie ich, der ewige "Deitsche", der ich durch die niederschlesische Mutter (die sich selbst mit der Vertreibung ihren Dialekt aberziehen und die den Schreibstuben des in Prag (sic!) residierenden Kaiser Rudolf II. entstammende, von Luther lediglich dem Maule etwas mehr angepaßt und durch die Bibelübersetzung, noch mehr aber generell durch den Buchdruck, also durch "social media" popularisierte Hochsprache annehmen mußte) in reinster Hochsprache in die Welt hinein sozialisiert worden bin. Schon von dieser Warte aus als Sonderling und Einzelgänger.

***

Ich kann als Sprechlehrer davon ein Lied singen. Versuche man einmal, dem Tiroler sein "r" auszuglätten. Und dann noch, wenn er spanische Wurzeln hat, wie es bei einem meiner Schüler einmal der Fall war. Da braucht es viel Einfallsreichtum, um sich (noch dazu nur individuell) anwendbare Sprechbrücken zu erarbeiten, über die dieses andere "r" dann ins Sprechgefüge des Schülers kommt.

***
 
em Tischler ist sein Holz jenes Material, das ihn lehrt - das ihn lehrt! wenn er auf es hört und dem Gehörten gehorsam ist, weil man sonst das Hören verliert: Wer das Gehörte nicht umsetzt, vertreibt die Inkarnation des logos! und wer darin Aussagen Jesu hören will, der soll, denn sie SIND daraus zu hören - Mensch zu sein.

ie Furchen in seinem Gesicht werden deshalb mit der Zeit den Linien des Holzes entsprechen, das er mit seinen Händen (diesen allerersten Gestaltnehmern wie -gebern, diesen Modelleuren der Inkarnation, also der Fleischwerdung, die das Wesen des Weltseins überhaupt ist).

Und wissen wir nicht alle, wie sehr sich das Tun eines Menschen, also das Material, mit dem er sich täglich auseinandersetzt und - das ist das Wesentlichste dabei - dem er gehorsam ist: Im Gesicht, in der Gestalt überhaupt zeigt sich, was oder wem ein Mensch gehorcht.

So macht er tatsächlich aus seinem Dasein, so - aber erst und nur so: In diesem Gehorsam dem Material gegenüber! - macht sich jeder zum Künstler, und sein Tun zur Kunst. Und es soll der Esel den Arsch verlieren, wenn das nicht auch heißt, daß er in der Kirche am Sonntag sein Kreuzzeichen wie ein Tischler macht. Und der neben ihm macht es wie der Bauer, der er ist, und die neben dem, als die Frau des Schusters, nicht so sehr wie ein Schuster, daß jeder sofort sagt: Das ist die Frau des Schusters. Das sind die Kinder des Maurers.

Oder das sind die Enkel des Lehrers, bei dem es (ich habe vier Geschwister von dieser "Sorte") .

***

Bei jedem Bildhauer, ja bei jedem Holzschnitzer, oder bei jedem Geigenbauer hört man fasziniert zu, wenn er erzählt, wie das Material, das er verarbeitet, ihm vorgibt, welche Gestalt sein Werk haben kann. Und in seinem Tun verindividualisiert er nur das vorhandene Material, dem er sich ZUERST fügen muß, um dann aus diesem Schwung im Astgewüchse des Stammes eine Muttergottes zu "sehen", das Alphorn daraus zu machen, wie es sein Beruf ist.

***
 
as Material des Literaten, des Schriftstellers ist die Sprache. Seine Existenz wird nur in dem Maß geführt, als er sich von der Sprache formen läßt, sich ihr ganz in deren Möglichkeiten und dessen Wesen hingibt. Darf man an dieser Stelle dem Leser erneut vor Augen führen, was das für sein Menschsein "als Künstler" bedeutet?
 
as also, was das Ich zum Selbst formiert. Und es wird in dem Maß die Sprache, die zu einer wird und werden muß, die vom Individuellen durchwirkt werden, angeeignet werden muß, um so im Ganzen zum hautengen Kleid zu werden, das in keiner Falte mehr der Luft der Trennung Raum läßt beziehungsweise solchen durch die Differenz von Sprache und Ich schafft.

Sind wir nicht gerade mit diesen Bruder? Alle? Sind wir nicht deshalb Gleiche? So denken sie, die Menschen. So denkt der Leser? So denkt der Leser.

Oh, wie schwer muß es für diesen oben Erwähnten sein, zu leben, sein, sein "Leben zu führen". In einem Material, das doch "JEDER" auch hat? In dem ihm also jeder "GLEICH" ist? Oh, ihr Menschen, oh ihr Menschen ...


*Es ist sicher nicht nur in Ungarn so, aber hier zumindest wird zuerst der Familienname genannt, und dann erst der Vorname. Dazwischen - sieh sieh! - folgt dann der Name ... der MUTTER als Bestimmendes, das in allen Formularen (selbst bei der Telephonanmeldung) abgefragt wird. Ein Vater kommt da nicht vor. Ganz im Gegensatz der vielen umgebenden slawischen Völker, wo es der Vatersname ("Otetschestwo") ist, der den Einzelnen bestimmt. Petrowitsch. Nazsamikovich. Petr ist der Vater, und auch bei der Hannalipnova ist es "die Tochter des Hannalip".