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Donnerstag, 17. Juni 2021

Der Atheist denkt kurzfristig erfolgreicher (1)

Die Kameraden nannten ihn wegen seines offenbaren militärischen Genies "Roter Napoleon", und er hatte sich einen so guten Ruf erworben, daß er sogar zweimal zu deutschen Generalstabskursen eingeladen wurde. Und das in einer Zeit, in der sich Hitler und Stalin als Todfeinde gaben. Hitler phantasierte von einer westlichen faschistischen Koalition, die der UdSSR den Garaus machen sollte, und Stalin träumte immer noch von einem Vorstoß quer nach Holland, der dem Westen das Genick brechen sollte? 

Die Rede ist von Marschall Michail Tuchatschewski, dem in der ersten Phase der Sowjetunion vielleicht begabtesten, sicher aber bekanntesten General der Roten Armee. Der bis in die Mitte der 1930er Jahre auch der deutschen Generalität ein Begriff war. Als Kamerad, wohlgemerkt.

Wie das? Man vergißt, daß sich seit dem Vertrag von Rapallo (1922) die sowjetischen und deutschen Generale bester Kontakte erfreuten. Sogar noch 1935 waren die Beziehungen der Generalissimae hervorragend, und die UdSSR hatte bis dahin nicht unerheblichen Anteil an der Wiederaufrüstung Deutschlands. Die Beziehungen zwischen deutschen und russischen (sowjetischen) Generälen waren also auch vor 1939 sehr gut.Das Klima schlug vorerst freilich im Mai 1937 um. Damals wurden sogar Gerüchte um einen Militärputsch in Moskau laut. Der sowjetische Geheimdienst GPU habe, wie es hieß, einen geplanten Putsch der Armeeführung aufgedeckt, Stalin sollte beseitigt und eine Militärdiktatur aufgerichtet werden. Auch Marschall Tuchatschewski war unter den Verschwörern, und wurde zusammen mit sieben weiteren Generalen inhaftiert. 

Grundlage war ein von der Gestapo in Berlin - möglicherweise auf direkte Anweisung Hitlers hin - gefälschter, umfänglicher, auf der Grundlage vorhandener Schriftstücke aus den Besuchen Tuchatschewskis Jahre zuvor perfekt gefälschter Schriftverkehr, mit dem deutschen Geheimdienst. Der aber überhaupt große Teile der sowjetischen Armeeführung kompromittierte und zu "Hochverrätern" machte.

Damit war es der Gestapo gelungen, die Rote Armee auf Jahre schwerstens zu schädigen, weil durch das, was nun folgte die Rote Armee große Teile ihres gesamten Führungspersonals verlor. Und es waren vor allem die fähigsten Offiziere und Generale - darunter eben Tuchatschewski - die damit ausgeschaltet wurden. Deutsche Generale sprachen sich, als sie davon erfuhren, zwar offen gegen solche Methoden aus, weil sie eine Verletzung ihres Ehrencodex - und nur so war ein Krieg kultivierbar, einhegbar, in seiner menschlichen Tragödie begrenzbar - bedeuteten. Aber nützlich, clever, geschickt gemacht - eben MODERN - war es allemal. Und "modern" war immerhin eines der Schlüsselworte Tuchatschewskis.

Im Juni 1937 wurde der sowjetische Marschall in einem der berüchtigten Schauprozesse wegen Hochverrats mit drei von insgesamt sieben Marschällen zum Tode verurteilt, und noch in der folgenden Nacht hingerichtet. Nur der unangetastet gebliebene Marschall Budjonny war als Zeuge für ihn geladen. Doch er schwieg. Man munkelt: aus Neid und verletzter Eitelkeit. Denn er war ein Pferdenarr, und hatte dem nach dem Ersten Weltkrieg in der Roten Armee kometenhaft aufgestiegenen Tuchatschewski übelgenommen, daß er die Rote Armee komplett modernisiert, und dabei auch vom Pferd auf Motorisierung umgestellt hatte. 

Stalin selbst war die Ausschaltung eines seiner begabtesten, in vielem wohl überlegenen Militärs und möglichen Konkurrenten vermutlich nicht ganz unrecht. Es gibt sogar den Verdacht, daß indirekt Stalin über Doppelspione und Geheimdienstverbindungen dieses Komplott selbst bestellt hat. Immerhin wußte Tuchatschewski viel über Stalin, das diesem nicht zum Ruhme gereichte. Denn die beiden kannten einander spätestens seit dem (für die Roten) unfaßlicherweise verlorenen Krieg gegen Polen 1921 sehr gut. Nun hatte Stalin ein Problem weniger.

Über Marschall Michail Tuchatschewski (er wurde 1957 unter Chruschtschow rehabilitiert) gibt es wenige Berichte. Stalin hatte dafür gesorgt, daß nichts an ihn erinnerte. Sein Charakterbild war aber offenbar widersprüchlich. Einerseits war er ein kunstsinniger, klarsichtiger Förderer (unter anderem für Schostakowitsch), ein gebildeter und bei den Frauen beliebter Schöngeist, anderseits ein skrupelloser und machtversessener Karrierist, der mit allen Wassern gewaschen war und über Leichen ging. Warum sonst wohl wird er der Roten Armee schon 1920 treu gedient haben?

Vor der Exekution des populären Marschalls und dessen Kameraden (die Anklagen betreffend schuldlos wie er) wurden Lastwagen in den Hof der Lubjanka gefahren. Man ließ deren Motoren aufheulen und richtete die Abgeurteilten durch Genickschüsse hin. Anschließend verbrannte man ihre Leichen.
Ehe wir hier aber Tuchatschewski zur tragischen Figur gerinnen lassen, erlauben wir uns doch den Hinweis auf das "Schwarzbuch des Kommunismus" (Courtois et al.). In dem der Name des späteren Marschalls erschreckend oft vorkommt, wenn es um die Aufzählung und Beschreibung der Greuel des Kommunismus geht. 
Tuchatschewski hat selbst also viel viel Blut an seinen Händen kleben. Er ordnete an, "Banditen", die sich in Wäldern verborgen hatten, mit Giftgas "auszuräuchern", und erwies vielfach seine fachliche militärische Kompetenz beim Töten von Regimegegnern. 
Daß das Geständnis, mit dem der fachlich von allen deutschen Generalen, die ihn gekannt hatten, als außergewöhnlich dargestellter Marschall seine "Verschwörung gegen Stalin" gestanden hat, offenbar nach "eingehenden Verhören" unterschrieben wurde, sodaß eine Seite voller Blutspritzer sind, steht somit auch auf einem anderen, eher im Sinne einer Nemesis Divina zu sehendem Papier.

QR Wikipedia A. Göth
Im Ganzen muß man aber im diesbezüglichen Video vom Ton her - recht 
positive Einschätzung von Tuchatschewski deutlich korrigieren. Der Sowjetmarschall fällt wohl eher unter dieselbe Kategorie, in die man Leute wie Amon Göth einordnet: Kommandant eines riesigen Konzentrationslagers namens UdSSR.  
Nicht jeder, den Stalin schlachtete, ist ein "Opfer", das unser Mitgefühl verdient. Die Hyänen fressen sich irgendwann auch selbst, und das zweite Stadium einer Revolution ist bekanntermaßen, daß sich die Revolutionäre untereinander bekämpfen. Das ist er, der Fluch der Effizienz, der zweifelhafte Segen des Erfolgs der Emanzipierten und (schon damit) Atheisten. 
Es ist aber auf jeden Fall die List der Vernunft, wenn man sie richtig versteht: Gott schreibt auch auf krummen Zeilen gerade, und letztlich dient alles dem Guten.

Das ist das nicht Banale an der Zentralismus-These von Tuchatschewski, der nur wiedergegeben hat, was aus seiner eigenen Erfahrung auf der Hand liegt: Er hat nur das Sowjetsystem beschrieben, das er selbst mit aufgebaut hat. Und bei dem noch klarer als beim Hitlerismus erkennbar wird, daß Zentralismus mit Schrecken gleichzusetzen ist. Und Schrecken hält sich immer nur im Blitzlichtgewitter. Er kann nie die Vertrauensruhe des Seins genießen. 


Morgen Teil 2) Der Versuch, einer banalen Erkenntnis mehr Allgemeines herauszupressen


*Einer der bekanntesten Denksprüche Napoleons ist, daß ein Feldherr nur den Anfang einer Schlacht planen kann. Ist's die Schlacht begonnen, herrscht hinfort der Zufall, und der Feldherr kann nur noch reagieren. Das macht übrigens die Bedeutung der Verbindung zur Zentrale in Information wie Nachschub noch deutlicher. Tuchatschewski sagt ja im Grunde genau das: Sobald eine Armee in angreifender Bewegung ist, hängt alles von intakten Verbindungen zur Zentrale ab. Fällt die Zentrale aus, löst sich eine Armee unzweifelhaft auf.