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Donnerstag, 30. September 2010

Da sind sie, die reichen Spekulanten

Man findet die Belege, für ohnehin Gewußtes, in einzelnen Meldungen, mal da, mal dort, man muß sie nur zu finden wissen, sie sind kein Tamtam wert. Die Belege aber dafür, daß es eben nicht die reichen privaten Spekulanten waren, nicht die geldgierigen Milliardäre, die hoch verzinsliche Geldanlagen suchen. Es sind uns alltäglich gewordene, teils für unsere Lebensgestaltung unverzichtbar gewordene Institutionen - Gemeinden, der Staat selber, Versicherungen (schon gar die, die der einzelnen Lebensversicherung des Fließbandarbeiters bei Daimler ihren fetten Gewinn versprechen), und vor allem: Rentenkassen. Da sind wirkliche Gelder unterwegs, riesige Gelder. Die etwas bewegen.

Von Institutionen, die sich diebisch freuen, den schwarzen Peter anderen anhängen zu können. Und weil die Leut gewöhnt sind, ihren Neidkomplex so richtig auszuleben - man nennt das sozialistisch - nehmen sie den Köder dankend an, er entlastet ja auch sie, in ihrem Verhalten. Es waren die bösen Reichen, die die Finanzblasen aufgeblasen und zum Platzen gebracht haben.

Die waren es aber nur zum kleinsten Teil, ja private Vermögensverwaltungen gehen viel sorgfältiger, risikobedachter mit dem Geld um, das ihnen direkt gehört. Ganz anders als der Staat, als Kapitalgesellschaften wie Versicherungen, Rentenfonds.

Institutionen, die einem enormen Druck seitens ihrer Anleger oder Leistungsbezieher ausgesetzt sind, die ja nur mit hohen Renditeversprechen geködert werden können und die über Leichen gehen, wenn es um Renditen geht, so wie all die vielen Kleinanleger und Sparer, die sich die Sparkasse aussuchen, die grad mal mehr Zinsen bietet, jährlich neu vielleicht noch. In enorm komplexen Zusammenhängen, natürlich, die wohl keiner mehr im Insgesamt durchschaut, die auch längst ein Eigenleben entwickelt haben. Nur manchmal tauchen dann einzelne, bis zu einem gewissen Grad rückverfolgbare Wirkmechanismen auf, werden dann "Player" in dem Spiel identifizierbar.

Welche Rolle die wirklich spielen, findet man dann in Meldungen wie die in der Neuen Zürcher Zeitung. Da kündet nämlich der Schweizer Rentenfonds an, daß wenn die Aktien nicht bald wieder steigen, wenn die Zinsen weltweit nicht bald wieder zulegten, die Renten im Lande fallen würden.

Da tauchen dann so Sätze auf wie:  Das gute Börsenjahr 2009 holte zwar viele Pensionskassen aus der Unterdeckung. Aber während der Deckungsgrad bei den privat-rechtlichen Einrichtungen von 106,4 auf 105,3 Prozent zurückging, gab er bei den öffentlich-rechtlichen Kassen von 92,6 auf 91,5 Prozent nach. Den tiefsten Deckungsgrad haben weiterhin die öffentlichen Kassen mit Staatsgarantie: Der Wert sank von 88,9 auf 86,9 Prozent.

Ein besonders pikantes Detail, solche Fonds sind zudem häufig an "risikoarme" Papiere gebunden, wie Immobilienfonds (à la Lehman ...), wie Staatsanleihen (à la Griechenland). Das heißt der Staat leiht sich (das tun eben Anleihen) das Geld von jenen, die die Tilgung auch aufbringen müssen, über die Steuern. Der Gewinn für die Anleger liegt - im Gewinn, in den Zinsen, die sie, bei solchen Anleihen, selber erarbeiten müssen.

Die Krise im Herbst 2008 habe die Pensionskassen rund 16 Prozentpunkte ihres Deckungsgrades gekostet, sagte Brandenberger. Für einen Börsenabsturz wie 2008 wären viele Vorsorgeeinrichtungen angesichts ihrer schwachen Wertschwankungsreserven nicht gerüstet.

Worum es geht? Unser "ganz normales Leben" ist bereits in einem Grad in Mechanismen eingebunden, die zu einem gewaltigen Apparat kumuliert eine neue Qualität angenommen hat, in der wie von selbst, die vermeintlichen Nutznießer, um deretwillen es geschehen ist, die Opfer und Sklaven sind. Die einfachen Schemata, wie sie angeblich einmal funktioniert haben, funktionieren nur noch als Sand, der den Menschen in die Augen gestreut wird.

Aber die Menschen haben es eben nicht anders verdient. Sie wollen ja nicht sehen. Auch die Kinder verdecken ihre Augen im Spiel, um die herausfordernde Welt verschwinden zu lassen.



*300910*

Nicht nur in den Krieg gestolpert (1)

Erst war es nur eine enorme persönliche Leistung

Rathenau hatte eine schwere persönliche Krise, mitten im allgemeinen Taumel der Kriegsbegeisterung der Menschen, als der Krieg 1914 ausbricht. Hätte ich nur nicht hinter die Kulissen gesehen, schreibt er. Niemand weiß, warum wir diesen Krieg führen, schreibt er. Ein lächerliches serbisches Ultimatum, ein Stoß wirrer Depeschen - und auf einmal ist Krieg, schreibt er. Am meisten macht er sich Sorgen, weil dieser Krieg keinerlei - im Sinne Deutschlands - moralische Rechtfertigung mehr hat. Nicht wie jene von 1813, oder 1866, oder 1870.

Walther Rathenau
* 29.9.1867
+ 24.6.1922
Und er ist entsetzt über den Dilettantismus, mit dem die deutsche Führung in den Krieg stolpert. Die Rüstung ist völlig unvorbereitet - Rathenau organisiert erst bei Kriegsbeginn die Rohstoffversorgung der Rüstungswirtschaft, und das bei dieser Abhängigkeit von Importen! Die Außenpolitik in der Hand von lächerlichen Dilettanten, die Rüstung selbst dreißig Jahre wie neurotisch nur auf die Frage des Flottenausbaus konzentriert. Die Eliten degeneriert und unfähig, die immense Anzahl an nachdrängenden Talenten eines explodierenden Volkes ignoriert und als Leistungspotential ausgeschlossen. Ein Drittel der Bevölkerung - die Arbeiterschaft - faktisch vom Nationalbewußtsein "ausgeklammert", weil verachtet.

Er ist fassungslos, daß Deutschland einem - wie er es nennt - kriegslüsternen Österreich blinde Gefolgschaft bietet, was genau Österreich-Ungarn die Sicherheit gab, so leichtfertig (es war klar, daß Serbien das österreichische Ultimatum nicht annehmen konnte, wobei Serbien unerwartet sogar dazu noch bereit gewesen wäre) und ohne Konsultation mit Rußland einen Krieg vom Zaun zu brechen.

Und er ahnt - wie nur wenige - wie sich weltweit die Kräfte zusammenschließen, um eine gewaltige Kraft gegen Deutschland aufzubauen. Frankreich und England, dessen Imperium selbst gerade zerbricht, wissen um die wirkliche Schwäche Deutschlands, und sie fühlen sich enorm stark.

Und prompt beginnt der Krieg, wie Rathenau befürchtet hat. Sofort wird Deutschland isoliert und eingeschlossen, auf lange Frist "erwürgt", wie er es nennt, so daß schon nach wenigen Monaten erste Engpässe in der Rohstoffversorgung eintreten werden.

Es ist Rathenaus Verdienst - und das gegen den Widerstand vieler Militärbürokraten, die ihm, dem Juden, mißtrauisch begegneten, gewiß auch eine Ausrede, angesichts so vieler nun offenkundig werdender Versäumnisse - binnen dieser kurzen Zeit und historisch ohne Vorbild eine zentral gesteuerte, das ganze Land lückenlos umfassende Kriegswirtschaft organisiert zu haben, die Deutschland den Atem gab, den Krieg weiterzuführen.

Das machte ihn freilich nicht beliebter. Man siedelt ihn und seine Abteilung sogar in eine über Nacht am Gelände des Kriegsministeriums aufgestellte Baracke um.

Lebensmittel konnten ohnehin zu achtzig Prozent selbst hergestellt werden, hier verlangte es nur eine Rationierung. Sämtliche Rohstoffe und Industrieerzeugnisse wurden nun erfaßt und primär der Rüstung zugeführt. Luxusgüter wurden eingestellt, wenn sie rüstungsnotwendige Rohstoffe benötigten. Schwer beschaffbare Rohstoffe für Rüstungsgüter wurden entweder durch andere Produkte ersetzt, wo dies möglich war, oder durch neue Verfahren künstlich hergestellt. Okkupiertes Ausland wurde sofort in die Materialplanung mit einbezogen.

Aber die Militärs reklamierten schon im Oktober ein entscheidendes Problem, das eine Einstellung der Kriegshandlungen spätestens im Februar 1915 erfordert haben würde: Die Sprengstoffe!


Fortsetzung - Teil 2 - Der Beginn staatlichen Interventionismus als permanentes, ja eigentliches Mittel weil Ziel der Politik: 
Eine neue Wirtschaft für einen neuen Staat


*300910*

Weltverlust

Das, was (geistig) eine Situation wirklich in ihrer Sinnhaftigkeit hält, ja was die Welt selbst ausmacht, ist oft sehr dünn, und es wird vor allem von Leidenschaft gerne gekippt, in der sich alle Transzendenz der Welt auf den körperlichen Selbstzweck reduziert. Das Video zeigt was gemeint ist wo geistige Welt und Wirklichkeit zusammenstoßen. Und damit - übrigens - die Richtung der Argumentation gegen die realontologische Dimension des Konstruktivismus andeutet, der da sagt, daß es die Dinge nur in unserer Vorstellung gibt.

 



*300910*

Musik ist nicht per se Poesie

Man sage gerne, schreibt Henri Bremond in "Mystik und Poesie", daß Poesie Musik sei. Er halte wenig von diesem Vergleich, denn es erkläre nur ein Mysterium durch ein anderes.

"Wenn man sich im Übrigen einbildet, einen hohen Begriff von der Poesie damit zu geben, so scheint mir, daß man sich täuscht. Diese Musik ist grell und eintönig, sowie man sie mit der wirklichen vergleicht: Baudelaire mit Wagner. Und dann: Wenn alle Poesie Wortmusik ist - wie ich zugebe - so ist doch nicht jede Wortmusik Poesie."

"Man bestimme doch, wenn man's kann, die genaue und ein musikalische Nuance, vermöge deren von zwei gegebenen Musiken eine einzige und manchmal die weniger wohllautende Poesie ist. [...] Wir alle kennen unsterbliche Verse, die an Musik nur das enthalten, was die Regeln der Prosodie erfordern. Andere gibt es, und zwar viele, deren übrigens wirklich vorhandenen Wohllaut wir nur deshalb rühmen, weil es uns unmöglich ist, ihren seltsamen Zauber anders zu erklären."



*300910*

Schleier (5)




*300910*

Gegen den Antichrist (2)

"Ich verstehe den zivilisatorischen Prozeß als Aktion des Antichrists und ehre die Mächte, die in Hölderlin und George wild lustvoll, sprengend einbrechen, als Gestalten des Katechon - aber nicht nur in der strömenden Fülle, wie sie etwa der Sieger sei es des Schlachtfeldes, sei es der Arena im Augenblick des Triumphes erfährt, sondern auch in der schweigenden Gewalt der Sitte wird der Weitergang der Bosheit verhindert. Wir alle können dazu beitragen, in dem wir uns für die mythischen Gerüste opfern und indem wir aus der Öffentlichkeit, vor allem aus dem Kulturbetrieb, ausscheiden.

Ich denke an die Ordensstiftung Georges, an die Rückzüge Heideggers nach Todtnauberg, Ernst Jüngers nach Wilflingen - allein die Abseitigkeit ist heute schon ein Verdienst."


Gerhard Nebel, in "Stefan George und die entgötterte Welt"



*300910*

Zeitdiebstahl

Wir haben alle Vorgänge beschleunigt. Aber hat der Umgang mit der Zeit, in dem wir sie mit so viel als möglich vollstopfen, überhaupt einen Sinn? Abgesehen davon, daß ich behaupte, daß zwar bestimmte Vorgänge beschleunigt haben, aber dieser Zugewinn andere zusätzliche verlangt hat, so daß die "Zeitsumme", auf die Menschheit gerechnet, mit jeder technischen Errungenschaft steigt, nicht fällt. Daß die Beschleunigung des Westens, um es ganz konkret zu machen, nur möglich war, weil weltweit gesehen Menschen genug vorhanden waren, die die uns zuarbeitende Zeit - gegen Geld, man nennt das dann Industrialisierung, oder Wohlstandszuwachs - der wir diesen "Gewinn" verdanken, den "Zeitverschnitt" (das Handwerk kennt den Begriff des "Verschnitts", also jenes Materialteils,  der wegfällt, wenn man aus Rohmaterial das eigentliche Werkstück herausarbeitet; die Sohle aus dem Lederfleck; die Konsole aus dem Brett, etc.) sozusagen, übernahmen.

***

Aber das Wesentliche am Leben und am Menschen, wir selbst als Erkennende, als Glücks- und Erlebenssubjekte - es ist nicht beschleunigbar! Und zwar um keine Minute!

Ja, wir erzeugen sogar Arbeitslosigkeit - ungebrauchte Menschen, die wir in Sozialnetzen auffangen, die wir von dem Geld finanzieren (sollten), das jene erwirtschaften, die die menschensparende Technik bedienen. Weil aber die notwendige Zeitsumme in Wahrheit steigt, denn jede Technik (da hat G. F. Jünger völlig recht!) braucht mehr Energie, als sie liefert, können wir solche Sozialnetze nur durch Schulden finanzieren. Es sei denn, wir riskieren nicht einen allgemeinen Wohlstandsrückgang. Paradox?

Eine der faszinierendsten Überlegungen, die dieser groteske und deshalb so für unser Heute typische Technizist Walther Rathenau angestellt hat, ist jene, was eine Nivellierung des Wohlstands, als Enteignung der Oberen, mit Verteilung nach unten - bringen würde. Seine Berechnungen (und übrigens nicht nur er hat das berechnet) ergaben, daß das Niveau ALLER deutlich fallen würde. Der Kommunismus hat genau das exakt bewiesen. Rathenau wußte, daß die Rechnung - Allgemeinwohl - nur aufging, wenn er eine enorme Steigerung der Leistung der gesamten Volkswirtschaft als Frucht dieser Kollektivierung (durch höhere persönliche Motivation) in Aussicht nahm.

***

Was aber ist wirklich "Zeitdiebstahl"? Etwas erdulden zu müssen? Erdulden zu müssen, wenn andere versuchen, unsere Zeit vollzustopfen? Mit all dem Plunder, den wir "effektiv" produzieren, aber gar nicht verarbeiten können, der uns deshalb nicht ein Gramm mehr Lebensfülle schenkt?


***

In der chinesischen Stadt Xian hat die Anwältin Chen Xiaomei ein Kino und einen Filmverleih wegen Zeitdiebstahls verklagt: Vor dem Hauptfilm waren zwanzig Minuten Werbung gezeigt worden. Da sie nicht darauf hingewiesen worden sei, dass ein solch extrem ausladendes Reklamepräludium zu erwarten wäre, forderte sie nun ihr Eintrittsgeld zurück (35 Yuan, etwa 4 Euro).

Darüber hinaus will Xiaomei 35 Yuan als Kompensation für den erlittenen seelischen Schaden sowie eine schriftliche Entschuldigung haben. Bei dem Film, den die Frau Anwältin sehen wollte, handelte es sich um den chinesischen Kino-Sommerhit “Nachbeben”, ein Familiendrama über eine durch ein Erdbeben zerrissene Familie. Und das Beste: Das Gericht in Xian hat die Klage akzeptiert. (Autor: Peter Glaser)




*300910*

Mittwoch, 29. September 2010

Die Melodien sind nicht die Noten

"Um ein Gedicht richtig, das heißt auf poetische Art und Weise zu lesen genügt es nicht - und ist im übrigen auch nicht immer notwendig - seinen Sinn zu erfassen. Eine normale Bäuerin erschließt sich mühelos der Poesie der lateinischen Psalmen, selbst wenn sie nicht gesungen werden, und mehr als einmal hat ein Kind die erste Ekloge mit Genuß gelesen, ehe es sie verstanden hat. Acht bis zehn Sinnwidrigkeiten [...] ist alles von Virgil, was beim Durchschnitt der Abiturienten an die rechte Stelle kommt, was tut's, daß der Bote zugrunde geht."

Henri Bremond, in "Mystik und Poesie"

***

Die liturgische Frage ist von der Frage der Poesie nicht zu trennen. Ihre Theorie ist Poetologie.



*290910*

Gegen den Antichrist (1)

"Ich rufe aus des Paulus zweitem Brief an die Thessalonicher den Katechon, den Aufhalter [des Antichrists, Anm.] heran - vor der eschatologischen Wiederkehr Christi die Herrschaft des Antichrists, die sich in zunehmender Bosheit vorbereitet, aber so, daß diese Zunahme von einer sie aufhaltenden Kraft gehemmt wird. 

Paulus hatte wohl das Imperium Romanum im Auge, das die Anarchie durch das Recht bändigt, und ähnlich verstanden sich die deutschen Kaiser des Mittelalters. Erst wenn der Widersacher die Autorität und Majestät des Staates beiseite getan hat, kann er frei schalten - und in dieser Obrigkeit sahen wir ja eine der mythischen Mächte, die zusammen mit anderen das Geflecht der Wirklichkeit ausmacht."


Gerhard Nebel, in "Stefan George und die entgötterte Welt"




*290910*

Globalzivilisation


Gefunden bei photofind



*290910*

Norwegischer Humor

Immer hilfsbereit, die Nordländer, Wikinger. Und was für welche!

 



*290910*

Schleier (4)





*290910*

Dienstag, 28. September 2010

Was Liebe ist

"Die Liebe ist das Wirklichwerden des anderen." 

Robert Spaemann

***

Das Erkenntnisobjekt wird in der Liebe im Erkennenden in sein (von der Dimension her) volles Actu (Aktualisieren) gehoben, und so vom "Datum" zum vollen Seienden, zur vollen Entsprechung von Objekt und Erkenntnis, damit zum Objekt als Idee und Abbild im Erkennenden, und damit in der Freuung, aber auch in seiner Unvollkommenheit erlebt, die den Erkennenden zur vervollkommenden Tat antreibt.



*280910*

Passend zum Tag?

Wachen jetzt manche auf? Oder häufen sich ähnliche Meldungen heute zufällig? Kündigt sich gar, wie Werner Schneyder es nennt, eine Bernhard-Wende an? Schneidet nun das Wort "Aber der hat ja gar nichts an!" durch die von neurotischer Wirklichkeitsverweigerung dicke, ja betonstarke Luft des Kulturbetriebs? Was führt dazu, daß Schneyder sogar die erstaunlich richtige, adäquate Schlüsselfrage stellt, am Schluß, die alles aufsprengen, endlich aufsprengen könnte: "Warum habe ich mich geirrt?"

Lesen Sie, was er zu der Inszenierung von Thomas Bernhards "Heldenplatz" am Theater in der Josefstadt sagt. Es enthält Wahrheiten, die allgemein sind und über nahezu die gesamte "Kunst- und Theaterlandschaft" umlegbar sind. Und die uns - uns, von ARS ACTU - in unserer Auffassung wie Arbeit (die natürlich auf andere Weise nicht beendet wurde) nur bestätigen, mit denen durchzudringen aber nicht möglich war, weshalb wir uns bekanntermaßen entschlossen haben, vorläufig jede weitere Theaterproduktion zu unterlassen.

Wahrheiten finden sich da, die einfach die Natur der Theater- und Schauspielarbeit betreffen, Aussagen, die sich über so viele "zeitgenössische" Stücke treffen lassen, Erfahrungen, die man so häufig als Theaterbesucher macht.


Eine ganze Generation hat sich täuschen lassen!

Am Wiener Theater in der Josefstadt ist zur Zeit eine Vorstellung (dringend) zu besichtigen. Weil sie in Österreichs Theater- und Literaturgeschichte eine entscheidende Wende einleitet. Die durchaus ehrenwerte Idee, das Stück "Heldenplatz" des Thomas Bernhard zwanzig Jahre nach einem publizistisch genial disponierten und provozierten "Skandal" wieder zur Diskussion zu stellen, zeitigt ein außerordentliches Ergebnis. Das wird in erster Linie von einem sehr guten Regisseur "verschuldet", der sich (wenn wir von einer kindischen Rhythmisierung des ersten Aktes absehen) bemüht, die sprechenden Personen zu Menschen zu machen. Für diese Intention hat er in dem überragenden Schauspieler Michael Degen den bestmöglichen Protagonisten.

Und jetzt passiert das für Viele Unerwartete. Degens Schauspielkunst entlarvt den Text, denn der hält der menschlichen Interpretation nicht stand, erweist sich als blutleeres Gestammel von privatem Quatsch und politischen Behauptungen und Denunziationen, die sich nirgendwo ableiten, nirgendwo hinführen und daher nicht interessieren.

Manche "Übertreibung" entlockt einem kleinen Teil des Publikums ein leises Glucksen, der Rest langweilt sich von Anfang zum Ende. Denn hier wir nichts abgehandelt, hier geht nichts jemanden etwas an. Zwangsläufig beginnen manche zu begreifen, dass das auf Figuren aufgeteilte monaurale Gelaber auch die anderen Bühnenwerke des Autors in ein neues Licht rückt.

Es gab schon klärende Stimmen. Man denke an Erich Hackl oder Daniel Kehlmann, bei dem die Sache mit dem Fuchs und den Trauben nicht strapazierbar ist. Nun, am gespielten Exempel, liquidiert sich das literarische Fehlurteil einer Generation, vom Germanistikprofessor bis zur Trachtenverkäuferin. Was jetzt fehlt, ist - als Anflug von Größe - die Frage eines kritischen Apologeten, die da lautet: "Warum habe ich mich geirrt?"



*280910*

Schluß mit lustig

Bruno Ganz hat nach Medienberichten dem Theater endgültig den Rücken zugekehrt. Er wolle nie mehr Theaterspielen, ließ er jetzt in Berlin verlauten. Wo sonst.

Bruno Ganz in "Der Untergang"
"Ich bin total zerworfen mit dem Theater. Ich habe damit nichts mehr zu tun. Keiner von diesen Bundesliga-Erste-Sahne-Regisseuren im deutschen Theater läßt Identifikation zu. Die scheuen das wie der Teufel das Weihwasser. Also habe ich da nichts mehr zu suchen."

Der international tätige Charakterdarsteller, der als einer der profiliertesten deutschsprachigen Schauspieler gilt, hatte seine Karriere im Theater begonnen. Er arbeitete mit großen Regisseuren wie Peter Zadek, Peter Stein, Claus Peymann, Klaus Michael Grüber, Luc Bondy und Dieter Dorn zusammen. Mit Peymann überwarf er sich 2005 und konzentrierte sich seither auf Filmprojekte.

"Die Jungs machen ihr Theater und das gefällt mir nicht. Schluss. Aus", sagte er. "Ich muss es nicht machen, weil ich Kino machen kann. Vielleicht würden die das auch lieber, aber das ist ihnen verwehrt."


*280910*

Klage des Hiob

Danach tat Ijob seinen Mund auf und verfluchte seinen Tag. Ijob ergriff das Wort und sprach: Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, die Nacht, die sprach: Ein Mann ist empfangen. Warum starb ich nicht vom Mutterschoß weg, kam ich aus dem Mutterleib und verschied nicht gleich? Weshalb nur kamen Knie mir entgegen, wozu Brüste, daß ich daran trank? Still läge ich jetzt und könnte rasten, entschlafen wäre ich und hätte Ruhe bei Königen, bei Ratsherren im Land, die Grabkammern für sich erbauten, oder bei Fürsten, reich an Gold, die ihre Häuser mit Silber gefüllt. Wie die verscharrte Fehlgeburt wäre ich nicht mehr, Kindern gleich, die das Licht nie geschaut. Dort hören Frevler auf zu toben, dort ruhen aus, deren Kraft erschöpft ist. Warum schenkt er dem Elenden Licht und Leben denen, die verbittert sind? Sie warten auf den Tod, der nicht kommt, sie suchen ihn mehr als verborgene Schätze. Sie würden sich freuen über einen Hügel; fänden sie ein Grab, sie würden frohlocken. Wozu Licht für den Mann auf verborgenem Weg, den Gott von allen Seiten einschließt?

Hiob, 3,1-3.11; 17.20-23



*280910*

Anbindung an ein Leben

Aktualistische Identität bedeutet, daß in dem Moment, wo das Bewußtsein nicht mehr das Wissen ums Dasein bestätigt erhält, und noch mehr, weil untrennbar, welchen Daseins, bricht die Persönlichkeit nieder. Sie kann sich nicht mehr selbst über dem Nichts halten, sich in die Welt strecken - sie muß gehalten werden. Alles schwindet, wird es nicht aktuell gehalten. 

Dieses "Nicht mehr halten" als Grundhaltung ist keine Angelegenheit praktischer Lebensführung und -entscheidung, sondern eine Unfähigkeit, der eine Unfähigkeit zur Erinnerung entspricht. Dieser Mensch ist nicht mehr wahrheitsfähig, und er ist nicht mehr in der Lage, schöpferisch tätig zu sein. Er muß sich ständig seiner selbst vergewissern, und "lebt" im Grunde nur in einer zum Allgeräusch verronnenen Sprech- und Zuwendungskulisse. Hechelt hinter einer Identität her, die sich nie fassen läßt, sofort verweht, wenn der Ton verebbt.

Was man behauptend herausstellt, besitzt man nicht. Es ist jedermanns, damit niemands, welke Blätter am Baum.

In dieser seltsamen Schattenbildung aus der menschlichen, nein, metaphysischen Grundwahrheit, daß alles was ist, redet, und alles was redet - ist. Weil alles ... im Wort anhebt. Aber, um diesen Spruch Rückerts durch einen von Goethe zu umfassen, es redet nur der, der etwas zu sagen hat. Zu sagen hat aber nur der, in welchem sich zu Sagendes geformt, ausgebacken hat. Und das bedarf - wieder - der Erinnerung, die erst jener Filter ist, der das Feste vom Luftigen absondert. Hier, übrigens, haben wir ihn wieder, diesen seltsamen Anknüpfungspunkt, wie ein träumendes Ahnen, somnambules Plappern von dem, was wahrhaftig fehlt, den Punkt, wo sich dieses Allgerede mit dem Verlust Gottes deckt, dem Logos, dem Wort, in dem alles liegt.

Wie eine Nachäffung wirkt damit dieses Wortmeer, das die Menschheit immer lückenloser umgibt ... als mehr oder weniger weit vorangeschrittene Gesamtbewegung von Kulturen, Kontinenten, der Menschheit, in die Auflösung in dieses "Allwortmeer" hinein. Nachäffung des allgegenwärtigen, zeitlosen Seins. In principio erat verbum, et verbum erat apud Deo, et verbum Deum erat. Und das Wort war Gott. - Ein Wortmeer, das aus dem Aktualismus heraus wie ein Vollzug (kein Geschehen!) Hegelscher Allgeistphilosophie ist, im selben Glauben an das automatisch Gute, synthetisiert aus dem Faktischen. Das aber in der Grundfärbung sich als zielverhangen verrät.

Das psychologische, reale, praktische, aber eben realistisch unbewältigbare Problem (vor dem jedes "man muß" zur Utopie wird) liegt genau in jener Eigenschaft, die als der große Vorteil moderner Kommunikationsmittel gemeiniglich angesehen wird, in der ständigen Verfügbarkeit. Damit passiert, im Wechsel von Wunsch und Versagung weil Warten, keine Einübung in den Spannungsaufbau mehr, der genau dieses Selbst-Halten (auch damit der Erinnerung) als Grundlage von Persönlichkeit ermöglichen würde.

Die modernen Kommunikationsmittel haben dramatische Auswirkungen auf die Verfaßtheit der Menschen und würden einen höchst selektiven Gebrauch zu wenigstens mit Pausen im Dienste der seelischen Gesundheit erfordern, auch von Erwachsenen. Sie in die Hände von Kindern oder Jugendlichen zu geben kann deshalb nur als fatal angesehen werden.

***

Der Kurier bringt folgende Meldung:
Mehr als 63 Prozent der österreichischen Teenager haben ihr Handy heute ständig dabei und können sich ein Leben ohne Mobiltelefon überhaupt nicht mehr vorstellen. Das geht aus einer aktuellen Studie des Mobilfunkanbieters Telering hervor. Im Vergleich dazu sagen nur 23,5 Prozent, sie könnten nicht auf das Auto verzichten. 18,2 Prozent der befragten Jugendlichen wollen nicht ohne Fernsehen leben. "Laut unserer Studie ist ersichtlich, daß mehr als die Hälfte der Befragten Wert auf ein modernes, aktuelles Handy legen. SMS ist immer noch mit Abstand die wichtigste Funktion am Handy, gefolgt von der Weckfunktion. Social Networks und das mobile Internet auf dem Handy sind bei den Jugendlichen - vor allem bei den Burschen - auf dem Vormarsch", erläutert Jörg Pribil, Marketingleiter von Telering, auf Nachfrage des KURIER.

67 Prozent der Teenager gaben an, fast täglich Kurznachrichten zu versenden. Zehn Prozent sind sogenannte "Heavy User" und schreiben pro Tag mehr als 30 SMS. Im Schnitt werden täglich 15,3 Kurznachrichten verfasst. Junge Männer telefonieren mit 35 Minuten pro Tag im Schnitt etwas weniger als junge Frauen, die auf knapp 40 Minuten kommen.



*280910*

Verschleiertes Mittelalter

Der Biographie des Hl. Franz v. Assisi (H. Thode) entfließt der Gedanke, ob nicht das "dunkle Mittelalter" deshalb so heißt, weil uns menschliche, naturalistische Bilder aus ihm fehlen.

"Die bedeutenden Männer, Päpste wie Kaiser, deren Tagen und Gedanken Jahrhunderte beherrschten, erscheinen uns nur wie durch einen Nebel, und ihre Personen verschwinden hinter ihren Prinzipien. Wie anders kommt der geschichtlichen Betrachtung des Altertums die griechisch-römische Kunst zugute, wie anders treten uns die neueren Zeiten entgegen, seitdem mit der größeren Freiheit der Individualität deren Bedeutung auch künstlerisch sich voll entfalten durfte."



*280910*

Wahrnehmungsersatz

IKEA versucht stets etwas anderes - seine Werbung ist nicht darauf ausgerichtet, zu zeigen, was seine Produkte wirklich sind. Sie ist der Versuch, ein "Begleitgefühl" zu implementieren, das die wirkliche Wahrnehmung des Produkts bestimmen (wenn nicht ersetzen) soll. Das sagt mehr über das Unternehmen aus, als viele gerne hätten. Die das "Glück" nie über seine Produkte verkauft hat. IKEA hat immer nur Lebensgefühl verkauft. Der Sinn auch dieses Werbespots ist nur noch intellektualistisch aufrechtzuhalten, etwa wie "Es ist gemeint, daß da, wo sich Katzen wohlfühlen, auch der Mensch ..." Die wirklichen Vorgänge, das wirklich Dargestellte ist anders.

Mit vielen Implikationen. Selbst das "Du", das bei IKEA diktiert ist, wird unter diesem Gesichtspunkt zum Zwang, die Differenzierungsfähigkeit, die mit Persönlichkeit zu tun hat, aufzugeben, und alles zu neutralisieren, das dem künstlichen Gefühl widerstreben könnte. Und das ist nichts anderes als das Menschsein selbst aufzulösen.

 



*280910*

Schleier (3)




*280910*

Generation der Patentscheißer

"Als Typus der hoffnungsvollen Jugend, die Aussicht auf "Karriere" hatte, der Patentscheißer, aufgeschwemmte Burschen, schnöde und zynisch im Auftreten, mit geklebtem Scheitel, gestriemten Gesichtern, Reiterstegen an den gestrafften Beinkleidern, schnarrender Stimme, die den Kommandoton des Offiziers nachahmte. Den Hochschulbetrieb verachteten sie, die kümmerlichen Prüfungsreifen erlangten sie durch sogenannte Pressen, ein feindseliges und herausforderndes Wesen trugen sie zur Schau, außer wenn es sich um Konnexionen handelte, ihre Zeit verbrachten sie mit Pauken, Saufen und Erzählen von Schweinereien. Solche Gestalten wurden geduldet, ja anerkannt; sie waren bestimmt, zu denen zu gehören, die das Volk regieren, richten, lehren, heilen und erbauen."

Walter Rathenau über den Typus, der um 1900 die Berliner Hochschulen
als künftige Elite bevölkerte.
Jene, die 1914 an der Spitze Deutschlands standen.
Man konnte, schreibt Rathenau, dieser Schichte, ihren Vertretern
in Beamtentum und Militär, nur von oben beikommen;
von unten ließe sie sich nur
strategisch umgehen, nicht durchbrechen.


*280910*

Montag, 27. September 2010

Nichtraucher-Hartz IV

Die Rechtfertigung der mit fünf Euro recht mäßig ausgefallenen Erhöhung des der österreichischen Notstandshilfe in etwa entsprechenden "Hartz IV"-Geldes in Deutschland ist bemerkenswert: Kanzlerin Angela Merkel sowie Sozialministerin Ursula von der Leyen argumentierten, daß an sich eine Senkung des Hartz-IV-Bezuges notwendig gewesen wäre. Denn zur Berechnung des "lebensnotwendigen Minimums" habe man nun die Zigaretten nicht mehr mit eingerechnet. Damit wäre der Betrag zu senken gewesen - somit sei die geringe Erhöhung als massive Erhöhung zu werten, weil sie wenigstens nicht gesunken sei, trotz der so notwendigen Budgeteinsparungen.

Nichtrauchen also als gesellschaftlicher Standard? Es bleibt ein sehr seltsamer Geschmack der Überschreitung persönlicher Integritätsgrenzen im Mund. Rauchen ist gewissermaßen eine Sucht. Mit der fertigzuwerden viel Kraft erlangt, zweifellos. Ob die jemand aufbringt, der in einer bedrückenden Lage ist?

***

Der Wohlfahrts- und Sozialstaat ist rührend und abstoßend zugleich, wenn er Nächstenliebe zu ersetzen und zu imitieren versucht. Zu ihm steigt einem ein Bild hoch: der Heilige Franz von Assisi, wie er einem Armen spontan seinen Mantel schenkt. Einem Mann, so heißt es, der durch seine Würde aufgefallen ist. DIE sah der Heilige Franz so beschädigt.

Heutige "Wohltätigkeit" mutet an, als wäre Franz vom Pferd gestiegen, hätte dem Manne aber nur seine Weste gegeben, nachdem er fachmännisch festgestellt hatte, daß seine Körpertemperatur noch halbwegs angemessen war. Und den Rat dazu, daß er sich gut bewegen solle, dann würde es ihm auch ausreichend warm. Und wenn es ihm dann doch noch hungere, solle er noch einmal kommen, und um Brot ansuchen, man werde den Bedarf wohlwollend, aber genau prüfen.



*270910*

Archetypisches

Erst hat man die reale Entflechtung von Kirche und Staatsmacht gefordert und politisch durchgesetzt. Aber mehr und mehr zeigt sich, daß es gar nicht darum ging. Es geht um die moralische Macht. Und was hier durch die Pulverisierung der Moralträger, der Religion, freiwurde, hat nun die Politik in Beschlag genommen.

Die Grünen, die Linken sind die Antwort auf die Diffundierung der Religion. Sie haben kein Wahlprogramm, kein Regierungsprogramm, sondern ein Entschuldungs- und Verhaltensdiktat. Wer tut, was sie fordern, wird gerettet. So, wie es jede Religion zum Inhalt und Ziel hat.

In dem Maß, in dem die Kirche entmachtet wurde - vom späten Mittelalter, und vor allem von der Reformation an - wuchs der Staat und die Politik als lebensregulierende Macht, und wurde zum Selbstzweck.

***

Damit erfüllte sich aber nur der anthropologisch-metaphysische Archetyp, der Einheit von Königtum und Priestertum, das zuvor geteilt war. Und in der Entmachtung der Adelsstrukturen schuf sich lediglich ein emanzipierter, technizistischer Geist Raum, um in der Wahl dem Konzept des "Charismas!" als Erkennungsmal für die Königswürde eine neue Chance zu geben - die die emporkommende Macht, das Bürgertum, als Zwischenreich zwischen den eigentlichen und alten Ständen (Bauer, auch als Handwerker - Krieger - Priester), mit ganz neuen Mitteln der Macht, die im wesentlichen nur Handhaben alter Mächte waren (Geld), beanspruchte.

Als wäre alle Geschichte nur das Umschichten innerhalb eines stets gleichbleibenden Kreises von Kräften und Mächten, mit stets denselben, nur je nicht gleich erkennbaren, oft verschleierten Bezügen der Träger seiner Elemente zueinander.

Verbürgerlichung wäre dann kein Stand für sich. Es wäre die Aufhebung der wirklichen Stände durch das "Einziehen einer Zwischendecke" - der Welt der Abstrakta, die für wirklich genommen eine eigene Welt ergeben, die immer nur auf der substantiellen Welt ruht, von ihr zehrt, und sie zu beherrschen anhob.

Wenn man diese Kiste öffnet, funkeln und glitzern einem plötzlich fast sämtliche anarchistische und revolutionäre Ansätze der letzten fünfhundert Jahre entgegen. Als wären sie alle von solch einem Mangelempfinden, das den Veränderungswunsch einesteils ausdrückte, andernteils von den wirklichen Kräften geschoben (nur oft verschleiert, auch tabuisiert) waren, ausgegangen ...

***

Als kleines Beispiel, wie sehr die Grünen - in Österreich! - sich als Moralinstanz betrachten, liefert die nunmehr abgeführte Steiermark-Wahl. Die Reaktion der Grünen? Es sei bedauerlich, daß die FPÖ so viele Stimmen zugelegt habe. Sofort also der Schritt auf die Moralwaage, die zu besitzen sie beanspruchen - als allen anderen Wahl- und Politikzielen übergeordnet. Sofort der erhobene Zeigefinger, indem es sogar weniger um die FPÖ wirklich geht, als um diese Aussage, die Moral, als einziges legitimes Kriterium menschlicher Entscheidung, ist unser.



*270910*

Wirklichkeitsferne

"Das Organ für Wirklichkeit ist heute geschrumpft, bei den meisten Intellektuellen, Gelehrten, Literaten und Herstellern von dem, was Kunst zu sein beansprucht, Kunstmachern, die ich von jenen aus der Transzendenz genährten Künstlern sondere, ist dieser Sinn selten, völlig fällt er bei den ontologisch schwer beschädigten Marxisten aus, die überhaupt nicht merken, was mit dem Menschen vorgegangen ist, die die Wirklichkeit für ein faschistisches Märchen halten und die dürftige Zeit für die Vorbereitung eines irdischen Paradieses."

Gerhard Nebel, in "Stefan George und die entgötterte Welt"


*270910*

Abruf von Geschichten

Das letzte Drehbuch von Jacques Tati wurde in einen Animationsfilm umgesetzt, der heuer noch in die Kinos kommen soll. Hier ein erster Trailer, der genug enthält, mit dem man sich die Geschichte (ob es nun genau die des Films ist, oder eine andere, ist wieder ganz ein anderes Thema) schon zu erzählen vermag.

Die quasi-autobiographische Geschichte beschreibt den Weg eines Illusionisten, der von Stadt zu Stadt tingelt, um sich in immer kleiner werdenden Engagements über Wasser zu halten. Bis er nach Schottland kommt. Dort trifft er auf ein junges Mädchen, Alice. Die von ihm tief beeindruckt ist, meint, es mit wirklicher Magie zu tun zu haben. Sie schließt sich ihm an, wäscht, kocht und macht ihm das Leben angenehmer, während er neuen Lebenssinn darin erfährt, für sie zu sorgen.

Genau wegen dieses "materialistischen" Plots wurde der Film übrigens angegriffen. Und vermutlich wird in Österreich auch noch das Attribut "sexistisch" dazukommen, weil er sich keinen Deut um Gendertrottelei schert. Wie es halt wahre Geschichten gerne machen.


(Gefunden bei notcot | via coolhunting)



*270910*

Fehlbeurteilung

Man sollte immer den Gesamthorizont kennen, ehe man ein Urteil fällt. Der erschließt sich keineswegs immer aus den Details.




*270910*

Schleier (2)




*270910*

Dann mach ich's selber

Weil er mit Ferrari Meinungsverschiedenheiten hatte, sodaß man ihm die Verkaufslizenz entzog, setzte sich der Schweizer Autohändler Peter Monteverdi 1965 hin, und begann, sein eigenes Sportauto zu konstruieren. Am Automobilsalon in Genf 1970 war es soweit: Er präsentierte den ersten "Monteverdi Hai". Zwar noch mit beträchtlichen Kinderkrankheiten, sodaß sich Monteverdi eher Geländewagen zuwandte, aber zumindest als beeindruckendes Zeugnis menschlichen Eigenwillens.

http://www.supercars.net/cars/3920.html
Die NZZ schreibt dazu:

Der voluminöse und schwere, aus Gußeisen bestehende Motor des Hai ragt weit zwischen die beiden Sitze hinein – man hat das Triebwerk sozusagen im Nacken. Der Wagen – obwohl nur 1,03 Meter hoch, besitzt dadurch einen relativ hohen Schwerpunkt. «Wedel- und rasche Spurwechselversuche bei hohen Geschwindigkeiten weiss der Hai nicht besonders zu schätzen, dies dürfte vor allem auf die Massenträgheit der rund sechshundert Kilo schweren Antriebseinheit zurückzuführen sein», schrieb die für ihre Testberichte bekannte «Automobil-Revue» am 12. November 1970. Statt der angekündigten rund tausenddreihundert Kilo wiegt er laut «AR» tausendsiebenhundertsechsundfünfzig Kilo. Den Sprint auf hundert Kilometer pro Stunde schafft er in immer noch beeindruckenden fünf komma null Sekunden und die Spitze wird bei zweihundertsiebzig Kilometer pro Stunde gemessen. Allerdings genehmigt sich der Hai im Schnitt 26,2 Liter Benzin auf hundert Kilometer – auch das ein Spitzenwert. Der Raubfisch kostete 1971 mit 82 400 Franken 25 Prozent mehr als ein Ferrari Daytona.

«Der Hai war ein verrücktes Auto», sagt Gerhard Mutterer, ehemaliger Monteverdi-Verkaufsleiter. «Wir hatten aber nicht die Gelegenheit, das Auto genügend auszuprobieren und zu prüfen.» Geplant war eine Kleinserie von fünfzig Exemplaren mit zwei Motorversionen. «Die Grundidee war sicher, den Hai zu verkaufen. Man hätte ihn aber weiterentwickeln müssen», sagt Mutterer. Das erste Modell sei sehr kurz geraten, «der zweite Hai mit verlängertem Radstand war schon besser», erklärt Mutterer: «Man konnte darin sitzen.» Weitere Schritte wären nötig gewesen, mitunter profane Dinge: «Man hätte den Motor von außen zugänglich machen müssen», so Mutterer.
 

*270910*

Sonntag, 26. September 2010

Alles ist machbar

Jugendkalender "Die großen Erfindungen", 1972, Edition Hachette, Paris - Der Sieg über die Verschmutzung der Flüsse durch neuartige Chemikalien


Gefunden bei mondorama 2000
***

Nun fragt nur bei dem furchtbaren gereut
Ob sich das land vor solchem dung nicht scheut!
Den eklen schutt von rötel kalk und teer
Spei ich hinaus ins reinigende meer.

Stefan George, angesichts des zu Beginn des 20. Jahrhunderts beginnend verunreinigten Rhein. Rötel - Kalk - Teer - die Nationalfarben Deutschlands. Das Meer hielt man damals ob seiner Größe noch für fähig, alle Verunreinigungen zu verkraften.



*260910*

Zeichen liebender Selbsthingabe

Der Schleier.

Gefunden bei comicallyvintage) via Glaserei

*260910*

Keine Parallelwelten

Neuerlich - zu Hawkings.

Sein propagiertes (aber keinesfalls von ihm stammendes) Konzept vieler Parallelwelten entspricht frappierend einer Vorstellung eines Gottes, der aus Notwendigkeit schafft. Gott, ganz actu, "müßte" dann aus sich heraus alle Möglichkeiten zu jedem Augenblick schaffen, und er würde in sich zu einem Widerspruch, weil sein einer Wille zu vielen würde, schon gar weil auch die denkbar "schlechteste" der Welten geschaffen würde. Abgesehen davon, daß ein Gott, der notwendig schafft (weil muß), keine Freiheit hätte. Damit wäre er nicht mehr Gott, sondern selbst verursacht.

Hawkings (und den Verdacht kann man in vielerlei Zusammenhang haben) bastelt also an einem Weltbild nicht einfach nur ohne Gott herum, sondern er versucht die Welt nur aus ihren Möglichkeiten heraus zu betrachten, weil ihm genau das actu, das Aktivierende, der Beweger also fehlt. Das versucht er durch ein Konzept einer Welt, die ineinanderläuft zu setzen, wo also Bedingtes selbst wieder Ursache ist, ad infinitum.

Feuling formuliert übrigens den Gedanken in völlig anderem Zusammenhang im Jahre 1936.



*260910*

Unser Leben, ein leerer Raum (3)

Fortsetzung von Teil 2)

Kein Krieg hier (dafür woanders und noch tiefer). Keine Gewalt da (dafür woanders und noch unklärbarer). Keine Ungerechtigkeit hier (dafür woanders und noch bitterer). So weit geht es schon mit dieser Angst, diese kleinen "Siege" wieder zu verlieren, daß wir gar nicht mehr den Mut haben, überhaupt ... ZU SEIN. Und das geht nur als Ganzer! In einer Bewegung, die nicht all dieses Kleingeld als Effekt möchte, sondern die viel mehr will. Während der Aufwand, um diese "Früchte" zu halten, immer höher wird, und längst das Ganze gefordert hat.

(Es sind also nicht irgendwelche Eigenschaftlichkeiten, Facetten der "Gutheit", um die es geht. Diese haben kein Sein für sich. Thomas von Aquin schreibt einmal: Die Akzidentien, die Eigenschaftsbestimmtheiten, und das sind auch die Tätigkeiten, existieren nicht selbst im eigentlichen Sinn, sondern nur, insofern durch sie die Substanz (und damit das Seiende, der Mensch im Selbststand) etwas ist, so und so bestimmt ist).
Die Welt ist ein unfaßbar ausgewogenes Gesamtsystem, und was sie trägt, was sie bewegt, und ihr Daseinsgeheimnis ist Bewegung, ist Liebe, ist Freude. Das zu sehen braucht keine naive Romantik oder utopistische Wirklichkeitsferne, im Gegenteil, es braucht nur ein wenig Verstand. Freude! Freuung! Zeitlos, quer zur Gegenwart, und für jeden in immer demselben Ausmaß "erhältlich". Wer hier etwas wegnimmt, schmälert es woanders. Sein Leben bläst sich auf, mit immer substanzloserem Zeug, ja. Aber es enthält nicht mehr ... Freude. Und in ihr zu leben lohnt nur um eine Zieles wegen: Schönheit.

Der VdZ weiß: Es ist eine Haltung, die so total und radikal gegen das steht, was gegenwärtig unser Leben ausmacht, daß man erschreckt. Aber es wäre tatsächlich nur unklug und naiv, in einem radikalen Umsichschlagen diese Position umzusetzen zu versuchen. Die Klugheit verlangt vielmehr ein langsames Entstricken. Radikal die Dinge wegzuwerfen, die uns bislang bestimmten, wäre sogar in den allermeisten Fällen nichts anderes, als das neue Ziel mit alten Mitteln, durch Überspringen der Gegenwart im Dienste eines besseren Morgen, zu erreichen zu suchen!

Es gibt nie ein Morgen ohne Heute, und alle Zukunft ist eine Folge der stets momentanen Gegenwarten. Erst müssen wir wieder lernen, diese Gegenwart ganz zu sehen. Dann erst wird sich unser Leben wieder füllen, wird wieder - realer! nicht der von Vorstellungswelten! - Lebensraum entstehen! Denn Raum entsteht mit den Dingen. Dingloser Raum - und davon ist hier und an diesem Tage die Rede - ist kein Raum mehr ... er ist nicht.

(Es geht also auch nicht einfach um "Verzicht", das ist meist tatsächlich ein bloß romantisches, unbrauchbares Konzept der Selbsttäuschung, als wäre es nämlich so leicht - den Verzicht auf den Plunder, der unser Leben heute bestimmt, als Askese, als Verzicht zu bezeichnen, ist ja eine Beleidigung der wirklichen Tugend, die eine Haltung zum Gut ist, keine "Kasteiung" im Sinne einer zu verwerfenden Substanzschmälerung. Es geht eben nicht um Verzicht - es geht um Auswahl, um eine neue Wertschätzung! Also das genaue Gegenteil so mancher "Grün-"Bewegung.)

Und das ist auch schon das Ziel, der Endpunkt, auf den eines Leben sich zubewegen soll. Aber es braucht manches dazu, um wieder sehen zu lernen, um frei zu werden. Denn nur der Freie sieht. Und die stärksten, vor allem subtilsten, verstecktesten Seile flicht die Gewohnheit und die Trägheit. Jeder Zugewinn an Schönheit bringt nur in dem Maß Lebensfülle, und das ist eine konkrete, dinghafte Fülle, hier ist nicht von einem "Cyberglück" die Rede, als die jeweilige Freiheit erlaubt und bemißt! Je tiefer das zu Genießende, das das Transzendente eines Konkreten ist, desto mehr wirkliche, und das heißt auch: leibliche Tugend, Tüchtigkeit, eben Freiheit heißt das, braucht es. Um das zu erlangen, was uns erst zu Gefäßen dieser Freuung macht: die Schönheitsfähigkeit.



*260910*