Dieses Blog durchsuchen

Samstag, 11. September 2010

Klar wie ein Gebirgssee (2)

(Fortsetzung - Erster Teil hier - des von der WELT ONLINE übernommenen Interviews von Eckhart Nickel mit Martin Mosebach)

WELT ONLINE: Einige Ihrer Schreiborte sind von klassischen Reisezielen kaum zu unterscheiden: Wenn man an Capri denkt, wo Sie an "Westend" geschrieben haben zum Beispiel. Dem Schauplatz von Somerset Maughams Lotus-Eater, der sein Ziel verfehlt, ein sorgenfreies Leben nach Fahrplan bis zum Tod einzuhalten.
Mosebach: Capri habe ich mir auch nicht ausgesucht. Gerade wegen dieser Lotus Eater-Atmosphäre, die auf der Sache lastete, mit dem Massentourismus noch obendrauf. Also eigentlich der ganz falsche Ort, um überhaupt etwas zu tun. Die Einladung nach Capri hat sich aber im Nachhinein dann als äußerst fruchtbar erwiesen.
WELT ONLINE: Muss man sich so eine Einladung vorstellen wie in der Renaissance die Mäzene?
Mosebach: Capri ist genau das gewesen. Ein Ehepaar, das viele Künstler gefördert hat. Die hatten das Gefühl, es sei das Richtige für mich, auf Capri zu sitzen.
WELT ONLINE: Eine Form der Selbstlosigkeit, die ganz wunderbar und selten ist.
Mosebach: In diesem Fall war es ein Akt von vollendeter Selbstlosigkeit. Das ist vielleicht nicht bei allen Mäzenen so. Die Zeiten, in denen der Künstler zur Verherrlichung eines Lebens beiträgt, die sind ja vorbei.
WELT ONLINE: Nabokov hat ja auch aus der Begeisterung für die Schönheit dessen, was er beschrieben hat, heraus geschrieben. In der zweckfreien Literatur wird aus dem Leben der Diamant der Kunst geschliffen.
Mosebach: Der Enthusiasmus. Das heißt ja wörtlich übersetzt Gotterfülltheit. Ja, der Schriftsteller ist in einem begeisterten Zustand. Man wird das in der neueren Literatur selten, fast gar nicht antreffen. Aber die vollständige Freudlosigkeit wird den Leser auch nicht anziehen. Subtile Formen der Begeisterung entwickeln sicher eine größere Anziehungskraft.
WELT ONLINE: Wenn die Welt aus zwei Hälften bestünde, der Affirmation und der Negation, wo würden Sie sich sehen?
Mosebach: Ich lege Wert darauf, was ich schildere, nicht zu verdammen. Ich versuche, die Welt freundlich und liebevoll zu betrachten. Das scheint mir angemessen zu sein. Die richtige Haltung.
WELT ONLINE: Gibt es einen Schreibort, an dem Ihnen das am besten gelingt?
Mosebach: Nein. Wenn das Wesentliche eingetreten ist, die Deplatzierung, und ich die erste Seite geschrieben habe, dann ist mir ein Ort so lieb wie der andere. Aber ich habe festgestellt, dass ich einen Ort, an dem ich sehr intensiv gearbeitet habe, ungern wieder betrete. Er kommt mir ausgesogen vor.
WELT ONLINE: Sind Sie an den Orten alleine?
Mosebach: Ja, leider. Ich bin zwar ein geselliger Mensch, aber in Gesellschaft kommt bei mir gar nichts zustande.
WELT ONLINE: Wie lange halten Sie beim Schreiben die Einsamkeit aus?
Mosebach: Sechs, sieben Wochen, das ist für mich ein guter Rhythmus. Viel mehr bringt nicht. Das reicht für einen Abschnitt im Buch.
WELT ONLINE: Streichen Sie bei der Arbeit oder schreiben Sie durch?
Mosebach: Ich schreibe gerne so klein, dass es mir sehr schwerfällt, das Geschriebene wieder zu lesen, um nicht aus dem Vorwärtsschreiben herauszukommen. Nur nicht noch mal lesen, was man geschrieben hat, das kann man später tun.
WELT ONLINE: Thomas Mann hat ja gesagt, jeder Künstler trage versteckt eine andere Disziplin in sich...
Mosebach: ...ich wäre manchmal gern Maler. Da ich weiß, mit welcher großen Handwerklichkeit sie verbunden ist, sage ich lieber: kein Maler. Nur Malerei-Liebhaber.
WELT ONLINE: Sie haben einen Flügel hier stehen, spielen Sie Klavier?
Mosebach: Nein. Ich nenne ihn: "das Denkmal der Kultur der untergegangenen Bourgeoisie". Die Mutter meiner Frau war eine ausgebildete Pianistin. Von ihr kommt der Flügel.
WELT ONLINE: Was haben Sie von Ihrem Vater mitbekommen?
Mosebach: Mein Vater war Arzt und leidenschaftlicher Leser, aber von ganz wenigen Büchern, die er immer wieder gelesen hat, die ihn durch sein ganzes Leben begleiteten. Er hätte wahrscheinlich mit einer ganz kleinen Bibliothek auskommen können und hatte Vorstellungen von einem eisernen Bestand. Das gehörte zu seinen Fantasien von Unabhängigkeit. Was ist das Notgepäck? Was braucht der Mensch?
WELT ONLINE: Sie haben mal gesagt, dass das Schreiben auch die Abkehr von der Familie bedeutet. Wie ist Ihre Familie damit umgegangen?
Mosebach: Ich sage es in Dankbarkeit: glänzend.

 
 *110910*