All die vielen Götter, die die Heiden anriefen, riefen sie auf eine Weise nur scheinbar an. Cusanus schreibt, daß das nur zeige, daß "die Heiden Gott nach dem Verhältnisse zu den Geschöpfen verschieden benannt" hätten.
Alle diese Namen sind nur die Entfaltung des einen unaussprechlichen Namens, und sofern der eigentlich Gott zukommende Name unendlich ist, faßt er unzählige solche den besonderen Vollkommenheiten entnommene Namen in sich. Daher ist auch die Entfaltung dieses Namens eine vielfache, die immer der Vermehrung fähig ist, und jeder einzelne Name verhält sich zu dem eigentlichen und unaussprechlichen Namen wie das Endliche zum Unendlichen.
Die Heiden verlachten die Juden, welche den einen unendlichen Gott den sie nicht kannten, anbeteten, und doch verehrten sie selbst ihn in der Entfaltung seines Wesens, da sie ihn verehrten, wo immer sie seine göttlichen Werke erblickten.
Der Unterschied im ganzen Menschengeschlechte bestand damals darin, daß alle an den einen größten Gott, über dem es keinen größeren gibt, glaubten, den die einen, wie die Juden und Sissennier, inseiner einfachsten Einheit, als den Inbegriff aller Dinge, die andren dagegen da verehrten, wo sie die Entfaltung seiner Gottheit wahrnahmen, wobei sei das für die Sinne Bekannte als einen Wegweiser zu der Ursache und dem Prinzip nahmen.
Auf der letzten Stufe dieses Weges geriet das schlichte Volk in Irrtum, das die Entfaltung (der Gottheit) nicht als Bild, sondern als Wahrheit nahm, wodurch der Götzendienst im Volk sich ausbildete, während die Verständigeren in der Regel über die Einheit Gottes richtig dachten.
Nicolaus Cusanus in "De docta ignorantia"
*010910*