Cusanus schreibt, daß die Zukunft nur aus der Kenntnis der Vergangenheit vorhersagbar wird. Niemand weiß, was aus einem Samenkorn wird, es sei denn, er hat es bereits wachsen gesehen. Es braucht also Erfahrung.
Ein Hilfsmittel dazu ist die Schrift, die die tradierte, nur mündliche Erzählung weitgehend ersetzt, aber natürlich in seinem Charakter auch verändert - mehr an den Buchstaben geklammert, eigentlich "entpoetisiert" und damit aus der ursprünglichen Gesamtheit der Mitteilung gerissen! - hat.
In ihr spricht der lange schon Tote mit den Lebenden, der Abwesende mit den Gegenwärtigen. So verschmelzen die Weisen aller Zeiten zu einem einzigen Weisheitsschatz, der mit jedem wahren Wort mehr wächst. Zum "geistigen Raum eines Volkes," wie es Hugo von Hofmannsthal benennt.
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Während also auf eine Weise die Schrift die Überlieferung erleichtert und erweitert, hat sie sie auf eine andere Weise eingeschränkt und verändert! Der Wert der rein persönlichen Tradition ist also unersetzbar auf der Suche nach Wahrheit, denn jede Schrift ist nur aus dem persönlichen Horizont heraus überhaupt deutbar.
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Sohin ist die Kunst die wahrhaftigste und vollkommenste Mittlerin menschlicher Erkenntis und Erfahrung.
*080910*