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Donnerstag, 13. Januar 2011

Reihenfolge

In einem sind sich die Religionsphilosophen und -psychologen, die Richard Schenk in "Theorie des Opfers" zusammenfaßt und zu Wort kommen läßt, einig: es ist der Kult, der die Religion gründet, nicht eine Auffassung oder Anschauung. Denn der Kult (in der Liturgie) ist eine Sprache, die sich auf eine direkte, alle Erkenntnis begründende Anschauung bereits bezieht. Liturgien sind also Sprachen, Darstellungen von tiefenseelisch erfahrenen, rational nur zu umkreisenden Wirklichkeiten.

Und es ist ein Kult der sich auf den Gewaltakt bezieht, dem wir unser heutiges Dasein verdanken, mit dem wir uns gegen ein großes Numinosum - Gott - verschuldet haben. Auf diesen Satz könnte man es wohl verkürzen.

Religion ohne (ausgebauten, alle Lebensphänomene umfassenden, und damit immer regional verorteten "wahren", also nicht abstrakt relativierten) Kult gibt es gar nicht. Wo immer das behauptet wird, handelt es sich um eine posthoc-Rationalisierung, die in sich leer und Ausdruck von A-Religiosität ist. Religion ist viel realer, ist DAS Reale gar.

Die Suche nach Kultobjekten also, die nicht selten rein positivistisch gesetzt sind (man denke an den Markenartikel-Kult), wie sie die Gegenwart kennzeichnet, und die immer den rein gefühlten (weil komplexeren) Inhalt eines Aktes (nicht einer Sache! auf diese wird es nur posthoc s. o. projiziert!) aufgreift, ist lediglich willkürlicher Ersatz des Abhandenkommens des religiösen Kultes, der aus dem Alltag mehr und mehr verschwunden ist. Der aber das Verhältnis des Menschen zur Welt und damit zu Gott immer wieder neu reguliert. Und es ist ein Verhältnis der Verdankung, der Schuld, und der Sühne, der erhofften Gutmachtung von Schuld, also des Opfers - in ALLEN Religionen ist das nachweisbar. Persönlichkeitsentwicklung ist nur über Opfer möglich, das hat das Abendland geprägt: das Kreuz, der Verzicht, das Loslösen vom Getragenen der Matriarchalität zum Selbsttragen. Weil dieser Prozeß, der ein Prozeß mit dem Sein selbst ist, mit Gott, zeitlebens nicht aufhört, ist auch die ständige Präsenz des kultischen Opfers notwendig, weil Selbstwerdung Gewalt gegenüber Faktischem bedeutet, das bisher noch positiv besetzt war, und nun getötet werden soll. Und weil alle Identitätsprozesse laufend zu überwindende mimentische (nachahmende) Prozesse sind, braucht es die Darstellung - am Sündenbock (darüber hier demnächst mehr). Der freiwillig da liegen muß, sonst hört das Rad der Schuld nicht auf sich zu drehen.

Ein Kult, der aus genau diesen Gründen ... übernommen werden muß, nicht neu oder gar wie ein Kundenprodukt "maßgeschneidert und extra angefertigt" werden kann. Kult bezieht sich folgerichtig immer auf eine objektive, alle Menschen umfassende, mich in einer langen Reihe sehende Handlungspflicht, die die Tradition weitergibt. Keine Tradition wurde, dies ist zu beobachten, selbst erfunden. Jede Tradition bezieht sich auf eine göttliche Stiftung, ist also selbst übernommen. Was sich in allen Mythologien der Menschheit nachweisen läßt.

Die zum mindesten - sonst sind sie keine Mythen - für absolut und ausschließlich wahr gehalten werden müssen. In dem Moment, wo ein Maori seinen Schöpfungsmythos nur neben einer Reihe von anderen Mythen zu sehen anfängt, wahr wie der seine, hat er bereits aufgehört, religiös zu sein. Das Heilige muß gegeben sein, es kann niemals aus einem selbst kommen. Denn genau das ist ja das Wesen des Heiligen: Ehrfurcht (aus dem Glauben) dem ganz anderen gegenüber.

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