[Wesentlich ist] daß ohne die ästhetische Erkenntnis weder die theoretische noch die praktische Vernunft zu ihrem ganzen Vollzug gelangen können. Fehlt dem Verum (dem Wahren; Anm.) jener Splendor (Glanz; Anm.), der für Thomas das Merkmal des Schönen ist, dann bleibt die Wahrheitserkenntnis sowohl pragmatisch wie formalistisch: es geht in ihr dann lediglich um Feststellung richtiger Tatsachen und Gesetze, mögen die letztern Seinsgesetze oder Denkgesetze, Kategorien und Ideen sein.
Fehlt aber dem Bonum (dem Guten; Anm.) jene Voluptas (sinnlicher Genuß; Anm.) die für Augustinus das Anzeichen seiner Schönheit ist, dann bleibt auch der Bezug zum Guten sowohl utilitaristisch wie hedonistisch: es geht bei ihm dann lediglich um die Befriedigung eines Bedürfnisses durch einen Wert, ein Gut, mag dieser nun objektiv in der befriedigenden Sache oder subjektiv im Strebenden fundiert sein.
Erst das Ansichtigwerden einer Ausdrucksgestalt in der Sache gibt dieser jene Tiefendimension zwischen Grund und Erscheinung, die als eigentlicher Ort der Schönheit nun auch den ontologischen Ort der Seinswahrheit aufdeckt, und befreit den Strebenden zu der geistigen Distanz, die das gestalthafte Schöne in seinem Ansichsein (und nicht bloß für-mich-Sein) liebenswert und erst so erstrebenswert macht. [...]
[Tritt man so] auf Jesus Christus, das fleischgewordene Wort, zu, so drängt sich unbedingt der Satz auf: hier ist eine Gestalt vor den Blick des Menschen gestellt. Wie immer es um die Verborgenheit Gottes [...] in Christus stehen mag - das erste ist doch, daß hier echte, "lesbare" Gestalt und nicht bloß ein Zeichen oder eine Anhäufung von Zeichen steht. Christus kann Zeichen wirken und setzen, und diese Zeichen werden in bedeutsamen Zusammenhang mit ihm selber stehen; aber er selbst ist mehr und anderes als nur Zeichen.
[Er ist also kein genialer, religiöser oder sonstwie toller Mensch, wie die rationale Erkenntnis sagen könnte und würde.] Er wird überhaupt erst in seiner Gestalt erkannt, wenn seine Gestalt als die gott-menschliche gesehen und verstanden wird, was dann freilich den Glauben an seine Gottheit zugleich einfordert und schon voraussetzt. [Nur als solche Gestalt ist er überhaupt zugänglich], nicht anders als eine Blume nur dann gesehen wird als was sie sich gibt, wenn sie als Erscheinung einer bestimmten Lebenstiefe gesichtet und "empfangen" wird. [Erst wenn der Betrachter an derselben Tiefe teilhat, wie das Betrachtete, vermag er was immer er sieht als das zu erfassen, was es wirklich ist beziehungsweise als was sie sich gibt.]
[Tritt man so] auf Jesus Christus, das fleischgewordene Wort, zu, so drängt sich unbedingt der Satz auf: hier ist eine Gestalt vor den Blick des Menschen gestellt. Wie immer es um die Verborgenheit Gottes [...] in Christus stehen mag - das erste ist doch, daß hier echte, "lesbare" Gestalt und nicht bloß ein Zeichen oder eine Anhäufung von Zeichen steht. Christus kann Zeichen wirken und setzen, und diese Zeichen werden in bedeutsamen Zusammenhang mit ihm selber stehen; aber er selbst ist mehr und anderes als nur Zeichen.
[Er ist also kein genialer, religiöser oder sonstwie toller Mensch, wie die rationale Erkenntnis sagen könnte und würde.] Er wird überhaupt erst in seiner Gestalt erkannt, wenn seine Gestalt als die gott-menschliche gesehen und verstanden wird, was dann freilich den Glauben an seine Gottheit zugleich einfordert und schon voraussetzt. [Nur als solche Gestalt ist er überhaupt zugänglich], nicht anders als eine Blume nur dann gesehen wird als was sie sich gibt, wenn sie als Erscheinung einer bestimmten Lebenstiefe gesichtet und "empfangen" wird. [Erst wenn der Betrachter an derselben Tiefe teilhat, wie das Betrachtete, vermag er was immer er sieht als das zu erfassen, was es wirklich ist beziehungsweise als was sie sich gibt.]
Hans Urs von Balthasar, in "Herrlichkeit"
*060116*