Es gibt im Recht einen wesentlichen Aspekt. Daß nämlich nicht einfach die formale Tat entscheidet, sondern der Umstand, auf welche Art mit einer Tat in eine Beziehung eingegriffen wird. Vereinfacht: Nicht das Aufheben und Einstecken eines 100 Euro Scheines ist entscheidend, sondern daß dieser jemandem gehörte, der nicht ich war. Darin drückt sich etwas zutiefst Metaphysisches aus, daß nämlich ein Ding aus seinen Beziehungen überhaupt erst wesentlich definiert wird. Keine naturwissenschaftliche Analyse der Papierzellen oder der eingearbeiteten Druckfarben, kein Vermessen und Wägen würde hier weiterhelfen. Letzteres ohnehin nicht, weil letztere Verfahren wieder nur Beziehungen darstellen.
Nun erhebt sich die Frage, was es denn sein könnte, wovon Journalismus zu berichten hätte. Vom Aufheben eines Geldscheines? Seiner Größe, seiner Farbe? Alles das ist richtig, es ist nicht unwahr. Aber es trifft den Kern der Tat nicht. Journalismus muß wie im Grunde jedes menschliche Wahrnehmen vielmehr berichten, was wirklich geschehen ist. Und dieses Wirkliche ist selbst nicht material. Es ist ein Aussage über berührte Beziehungen. Wer diese Beziehungen ignoriert, berichtet nicht journalistisch, er täuscht Journalismus lediglich vor. Wer diese Beziehungen gar nicht kennt, ist nicht in der Lage, über das zu berichten, was überhaupt passiert ist.
Im Fall der Sylvesterereignisse in Köln fällt diese kleine, aber entscheidende Differenz besonders auf. So wird man immer noch täglich mit neuen Aspekten überrascht, die nach fast zwei Wochen noch ans Tageslicht treten. Wie jener, daß das Beschießen mit Böllern und Raketen keineswegs absichtslose Verwirrungstaktik war, sondern einen ganz anderen Zielpunkt hatte. Und der stand breit uhnd mächtig am Bahnhofvorplatz - es war der Kölner Dom. Und noch nicht einmal das bloße Gebäude. Sondern dieses Geschieße entpuppt sich noch mehr als Feuerwerksmißbrauch, weil es der Sylvesterandacht galt, die im Dom stattfand und von tausenden Christen besucht wurde.
Damit rundet sich ein Bild von dem, was wirklich am Kölner Domplatz mit Hauptbahnhofanschluß geschehen ist. Der Charakter der Vorkommnisse nimmt allmählich die Dimension eines (noch, oder mangels tauglicherer Mittel) schaumgepufferten Angriffs auf unsere Kultur an. Es war ein Angriff auf das, was eine Kultur trägt - und das sind die Frauen, das ist die Religion, und das sind die staatlichen Strukturen. Es war wie eine Probe für den Ernstfall, ein Theaterstück das eine sehr echte Motivation darstellte: Als Kampfpose gegen die Grundlagen eines ganzen Landes, einer ganzen Kultur. Die nur mangels Mittel - noch - eine Pose blieb. Aber die Grundbewegung bleibt, zumindest weitgehend, und sie wird immer klarer erkennbar.
Und sie hätte schon viel früher erkannt werden können, ja von gutem Journalismus erkannt werden müssen. Denn wozu sonst bräuchte man Journalismus? Um zu berichten, daß jemand einen 100 Euro Schein aufgehoben hat? Oder daß die Wirklichkeit dieses Aufhebens beabsichtigter Diebstahl war? Daß die Wirklichkeit hinter Köln die Theaterprobe für einen Krieg gegen ein ganzes Land ist? Denn ein Land ist ein dichtes Geflecht aus Beziehungen, aus bestimmten und bestimmbaren Beziehungen. Nicht das Ensemble vereinzelter Menschen und herumstehender Steinaufschichtungen, die manche Gebäude nennen. Zu sagen, was wirklich passiert, ist also ein Erkennen dessen, wie etwas in diese Beziehungen eingreift.
Wir können uns also die Grunddebatten nicht ersparen, denn was immer wir tun, was immer wir denken, sprechen, schreiben, ist eine grundsätzliche Vorentscheidung. Es sind somit auch um Köln Debatten um die Deutung von Beziehungen zu führen, nicht um für sich stellbare Ereignisse.
Wir können uns also die Grunddebatten nicht ersparen, denn was immer wir tun, was immer wir denken, sprechen, schreiben, ist eine grundsätzliche Vorentscheidung. Es sind somit auch um Köln Debatten um die Deutung von Beziehungen zu führen, nicht um für sich stellbare Ereignisse.
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