Als Ungarn vor einem halben Jahr unter dem Eindruck und der richtigen Analyse, was da abläuft und deshalb noch kommt, nach Wochen der ersten Schockstarre seinen Beitrag zum Schengen-Vertrag tatsächlich erfüllte, und die EU-Schengen-Außengrenze zum Nicht-Schengen-Land Serbien (und später, in abgespecker Version, zum gleichfalls Nicht-Schengen-Land Slowenien) ganz so, wie es in diesem Vertrag als Verpflichtung zugesichert hat, durch einen Zaun dem illegitimen Übertritt zu verhindern begann, wurde es in ganz Europa auf übelste Weise beschimpft.
Ja, Orban wurde vom Rotnaserl Schultz bei einem EU-Treffen als Diktator begrüßt, und die höchsten Ebenen überboten sich in Drohungen ob der Unmenschlichkeit dieser fasischischen Diktatur. Na, und wie erst die Medien, die ja von der Politik so abhängen, daß sich etwa in Österreich nicht eine einzige Zeitung aus eigener Kraft erhalten könnte.
Was ist aber nun passiert? Die Presse berichtet, daß Brüssels EU-Kommision gestern Griechenland gedroht habe, daß für den Fall, daß es seine Grenzen nicht augenblicklich schützt, das heißt: binnen drei Monaten (seine tausenden Kilometer Küste) so abschließt, daß niemand mehr illegitim ins Schengen-Europa einreisen kann, aus diesem Schengen-Raum defacto - durch Einführung von Grenzkontrollen gegenüber Griechenland - ausgeschlossen wird.
Dann kann es sehen, wo es bleibt, und was es mit den Hunderttausenden macht, die bereits dort sind, oder ab dem Frühjahr Monat für Monat wieder einströmen werden. Schon jetzt steht im Raum, daß man sich um die See-Hoheitsrechte Griechenlands (Ätsch, verspielt ist eben verspielt!) eher wenig kümmern wird, um durch die Küstenwache anderer Staaten die Effektivität griechischer Einreisekontrollen zu überwachen, wie es heißt. Dann tauchen eben italienische oder bulgarische oder maltekische Schifflein samt Grenzschutztrüpplein an Bord vor Chalkidiki auf und geben den bedröppelten Griechen gehörig Zunder, pardon, "greifen ihnen unter die Arme". Das sind die mittlerweile eh gewöhnt.
Die Kommission beruft sich darauf, daß Griechenland laut ratifiziertem Schengen-Abkommen zum Dichtmachen seiner Grenzen (man nennt es freilich "Kontrolle der Einreisenden") verpflichtet (sic!) sei. Anders als mit dichten Außengrenzen kann ein quasi grenzenfreier europäischer Raum nämlich nicht funktionieren.
Neeeeein, wirklich? Aber das hätte man doch dem Ungarn Viktor Orban auch sagen sollen?! Denn dann hätte man den ungarischen Zaun sogar noch als Niederlage dieses Faschisten verkaufen können. Indem die europäisch-solidarische Presse schreibt:
EU zwingt Orban zum Nachgeben - Brüssel fordert sofortige Errichtung von Grenzzäunen und Auffangzonen, um Ungarns provokante Schengen-Vertragsverletzungen zu unterbinden. Merkel: Orban will Europa durch ungebremste Zuwanderung destabilisieren! Schultz: Orban will die Macht in Europa! Und Bild titelt einen obendrauf: Unter Zuwanderern nachweislich ungarische Agenten.
Hollande sagt vorerst freilich nix, soweit bekannt. Der ruft in den Tagen darauf aber den nächsten Notstand aus und säuselt im Abendfernsehen, daß er Ungarns Laxheit als Angriff auf Frankreich werte, er habe bereits teilmobilmachen lassen, woraufhin seine Umfragewerte um gezählte 2,5 Prozentpunkte auf nun schon fast 23 steigen. Um noch einmal um einen Punkt zu eskalieren, als er sich in "France Soir" mit nacktem Oberkörper (samt dezent unter der rechten Brustwarze eintätowierter Lilie von Anjou) und geschulterter Renault-Ein-Mann-Abwehrrakete vor einem elsässischen Grenzhüttchen aus dem 1. Weltkrieg zeigt.
Jean-Claude Juncker wollte ursprünglich ja auch aufs Bild. Von wegen Europa der Vaterländer und so. Aber er war an dem Tag in sicherheitsspezifischen Geheimverhandlungen mit Vertretern von google und facebook in Letzeburg festgeeist und hatte zur von der ausführenden Videokünstlerin angebotenen Montage ins digitale Enderzeugnis, das nun sämtliche Nachrichtenagenturen verbreiteten, ein für diesen Zweck eher unbrauchbares Photo von ihm im gepunkteten Schlafanzug gesandt. Gegen diese Punkte war auch CorelDraw 5.7 machtlos. Angeblich ein Versehen der Sekretärin, dieses Bild, angeblich habe sich Merkel sogar sehr pikant darüber geäußert, aber das sind alles nur noch Gerüchte, nur noch Gerüchte, und wir wollen hier ja substantiell bleiben.
Vertane Gelegenheiten also, wo man hinblickt. Denn das hätte man doch Erweis konsistenter Politik nennen können! In der doch wirklich jeder europäische Staatenlenker weiß, was für Europas Existenz richtig ist, was er will, wozu jeder verpflichtet ist, und wie er es einhält. Schade. Ein paar Wochen zu spät. So weit kommt's jetzt noch, daß man diesen widerlichen Nazi als Vorbild hinstellen wird müssen.
Da kommt es doch wenigstens der Widerspruchsfreiheit der Medienerzählung zupaß, daß der momentan am nächsten Fascho-Staatsstreich bastelt, und tatsächlich das, was in Frankreich seit Jahrzehnten Dauerzustand ist - eine Präsidialrepublik mit Sondervollmacht des Präsidenten zur Ausrufung eines temporären Staatsnotstands, samt durchgreifenden Exekutiv-Vollmachten - auch in Ungarn einführen will, um nötigenfalls Terroristen effektiv bekämpfen zu können.
Befristete Sonderrechte, wie sie übrigens jeder Staat Europas kennt, wie Einschränkung der Reisefreiheit, lokal begrenzte Ausgeh- oder Versammlungsverbote, Beschränkung der Kontakte mit dem Ausland, der Medienberichterstattung, etc. So wird es derzeit zumindest diskutiert. So besteht es in der Präsidialrepublik Frankreich seit 1955 und wurde zuletzt bei den Pariser Anschlägen 2015 angewandt. So ungefähr hat sich das auch Orban vorgestellt.
Abgesehen natürlich davon, daß so etwas wirklich martialisch klingt und einen schon einschüchtern kann, aber in allen Staaten Europas, ja der Welt möglich und in Teilen ohnehin bereits alltäglich ist (man denke dabei nur an die Medienfrage, oder die digitale Dauerüberwachung, in der einige Länder seit Jahrzehnten so tun, als wären sie in Dauer-Notstand), abgesehen davon, daß man mit solchen Dingen keineswegs spaßen sollte, und abgesehen davon, daß solche Notstandsgesetze (so wie alle Gesetze) formal nie ganz gegen Mißbrauch abzusichern sind:
Aber das heute überhaupt erst einzuführen kann doch nur einem Neonazi einfallen. Im Notfall nicht einmal mehr mit der kaum noch 20prozentigen Oppositionsminderheit debattieren und das Landesschicksal in deren Hände zu legen in der Frage, was denn im ernsten Terrorfall zu tun sei, so wie es Brüssel seit Monaten tut? Pfui.
Wie vorbildlich dabei doch die EU. Debattiert noch heute. Sie ist nun sogar ganz energisch im Fall Griechenland. Wo kommen wir denn da hin - da bestehen doch V e r t r ä g e, bitte, das ist ja nicht nichts, daß die einfach alle einreisen lassen, die es wollen. Ansonsten wird durchaus weiter diskutiert. Was zwar bis heute keine einzige brauchbare Lösung für ein überaus, ja in den Augen vieler EU-gefährdendes Problem brachte, was mittlerweile sogar die österreichische Politik eingestand und zu wenigstens rhetorischen eigenstaatlichen Maßnahmen schritt (und das alles will was heißen!), aber dafür blieben alle ganz demokratisch.*
Apart: Wußte der gelernte Österreicher, daß der österreichische Bundespräsident so gar nicht zufällig oberster Befehlshaber des Bundesheeres ist, zudem und nur u. a. die Regierung absetzen, das Parlament auflösen und Neuwahlen ausrufen, jedes Gesetz beeinspruchen und lange blockieren kann, wenn er behauptet, es entspreche nicht der Verfassung, und Notverordnungen erlassen kann? Daß es in Österreichs und Deutschlands Verfassung Gesetze gibt, die auf kurzem Wege und durch Einschränkung der Grundrechte aller Bürger jeden effektiver bekämpfen lassen, der die demokratische Grundordnung (das versucht ja Terror) außer Kraft setzen oder gefährden will? Dagegen gibt es keinen Rechtsweg. Dann darf in Österreich von ihm sogar das Militär unbeschränkt herangezogen werden. Selbst jeder Landeshauptmann hat in so einem Fall besondere Vollmachten, in denen er alles an sich ziehen kann, wenn der Bund nicht mehr kann. In Deutschland kann er auch die Freizügigkeit und das Brief- und Fernmeldegeheimnis aufheben. Das kann er in Österreich nur mit der Regierung zusammen.
Haben da die Väter der Verfassung wirklich an Notfälle gedacht, in denen es eine etwas entschlossenere, bündigere Führung braucht, um die Existenz des Staates auch in Ausnahmefällen zu sichern? Und warum, meint der gelernte Österreicher, legt die Parteienpolitik so großen Wert darauf, daß nur handzahm abgerichtete Kuschelonkel dieses Amt erlangen?
*Übrigens zeigt sich auch hier wieder einmal die Umkehrung des Subsidiaritätsprinzips, das die EU sogar in ihren Grundverträgen anführt, aber mal so mal umgekehrt auslegt. Weiß ja eh keiner, was damit gemeint ist. Dieses Prinzip katholischer Soziallehre und des Naturrechts besagt, daß eine übergeordnete Einheit erst dann eingreifen darf, wenn die untergeordnete eine Aufgabe im Sinne des Ganzen nicht erfüllen kann.
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