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Donnerstag, 20. August 2020

Offener Brief an Herrn Vona von der Jobbik (1)

(Aufgegriffen aus den rund 1500 nicht veröffentlichten Artikeln, 
diesmal aus dem Jänner 2018)
Offener Brief an Herrn Gábor Vona von der Jobbik

Sehr geehrter Herr Vona!

Mit größtem Interesse verfolgt der Verfasser dieser Zeilen (VdZ), der seit zehn Jahren in Sopron/Ödenburg fallweise wohnt, das Geschehen in Ungarn. Und er verhehlt nicht, daß ihm vieles an den Entwicklungen im Land gefällt, daß er den Ansatz eines Nationalgefühls für eine Regeneration der Volks- weil Landeskraft für absolut richtig und gut hält.

Und bislang hat der VdZ immer sehr freundlich über die Ungarn geschrieben. Aber er hat Ungarn und seine Bewohner geschont. Er hat die Jobbik geschont. Das muß nun einmal auch übertreten werden. Erlauben Sie deshalb ein sehr offenes Wort.

Der VdZ wohnt seit zehn Jahren, wie gesagt, in diesem Land. Das ihn weitgehend freundlich, sehr freundlich aufgenommen hat, obwohl er nur Gast, ja Fremder bleiben wollte. Seit 2007 gibt er damit auch sein in Österreich verdientes Geld in Ungarn aus, das als kleiner "Gegenwert" für das, was er hier erfahren durfte.

Ist er aber hier, weil er davon profitiert, daß es in Ungarn billiger ist, wie er oft hörte?

Es ist höchst an der Zeit, einiges an Fehlurteilen über Ungarn im Westen, aber offenbar auch in Ungarn selbst zu korrigieren. Einiges, was bisher vom VdZ zugedeckt wurde, das er unter "durchaus auch liebenswert" verbuchte, denn auch das Laster hat etwas Liebenswertes, muß nun einmal mit mehr Realistik dargestellt werden. 

Beginnen wir damit, daß in Ungarn angeblich alles billiger. ist. Das mag vor zehn, fünfzehn Jahren so gewesen sein, als zwei Systeme aufeinanderprallten, die jede Homogenisierung von Arbeit und Wert durch den Eisernen Vorhang verpaßt hatten.

Damit stießen zwei für sich entwickelte Systeme von Arbeit - Wert - Lohn - Preis aufeinander. Darin lag dann der Grund, warum bei einem Paradigmenwechsel "nach Westen" eben dieser Westen zu profitieren schien. Wie auch immer man das beurteilt, ist es eine Tatsache, daß die (ungezügelte) Konkurrenz des Liberalismus (aus der Not) eine höhere "Effizienz" gebiert. Der Mensch steht unter höherem Druck. In manchen Aspekten ist das notwendig und gut, in vielen aber nicht.

Heute sind wir aber ohnehin lägst von solchen Vorteilen entfernt. Die Ungarn haben reagiert. Aber sie haben nicht immanent reagiert, da hat sich also nichts "von selbst" geradegestellt, sondern was sich verändert hat, ist die Reaktion auf diese Tatsachen und Erwartungen, nicht die Arbeitsleistung und die Wertschaffung selbst etwa.

Es kommt mittlerweile billiger, nach Österreich zum Großeinkauf zu fahren, trotz Bahn-Fahrkarte und Taxi, als hier zu kaufen. Die Preise sind sogar in den letzten Arealen gestiegen, wo das Ungarn von 2007 noch billiger gewesen war - Fleisch, Obst und Gemüse, Milchprodukte ... alles, mittlerweile wirklich alles ist in Österreich heute billiger, analog zum Anteil von Arbeit. Ungarische Arbeit. Die ist ein Verbilligungsfaktor.

Aber nicht nur das. Österreichische ("westliche") Ware ist teilweise von deutlich besserer Qualität.  Und nicht (nur), weil Westfirmen für Ware, die für Ungarn bestimmt ist, schlechtere Zutaten verwenden. Sondern weil in Ungarn offensichtlich viele Anpassungsprozesse an einen höheren Arbeitswert gar nie stattgefunden haben.

Oder wie erklärt sich ein Teil der in Ungarn traditionell gehandelten und produzierten Ware, der von so schlechter Qualität ist, daß man ihn nicht gerne kauft, hat man einmal "West-Ware" gekostet? Der sich offenbar nur deshalb noch weiterverkauft, weil ihn die Ungarn nun einmal halt gewöhnt sind? Man kann sich ja auch an das Schlechte gewöhnen, und nicht jeder Geschmack ist einfach "subjektiv" und damit gut. Schon gar nicht, wenn es um Dienstleistungen geht.

Und wenn wir schon dabei sind: Haben Sie, Herr Vona, schon einmal typisch "westliche" Produkte (wie Tabakwaren) in Ungarn gekauft? Die dort ganz offensichtlich zu Westpreisen (beziehungsweise knapp darunter) verkauft werden? Sie sind von schlechterer Qualität! Also macht Ungarn umgekehrt genau dasselbe, und nicht weniger in Täuschungsabsicht, sondern in einer Motivation, die man "Wegelagerei" nennen muß. Sofern es Importware ist, wie bei manchen Spirituosen, also auch 1:1 westliche Qualität, ist sie in Ungarn ohnehin teurer, teils deutlich teurer als in Österreich.

Was die Ungarn selber den Ungarn zumuten, spricht ohnehin Bände. Und ist beileibe kein Ausweis für Kultur. Seltsamerweise "können" ungarische Produzenten weit mehr, sobald sie versuchen, ihre Ware nach Österreich zu verkaufen. Probieren Sie einmal ungarische Paprika aus einem Supermarkt in Wiener Neustadt - und sehen Sie die Ware desselben Produzenten in Sopron, wo sie sogar noch teurer ist.

Und da ließen sich zu jedem der hier angeführten Punkte viele viele Geschichten erzählen, denn was man hier in Ungarn - namentlich in Sopron - erleben kann, hat der VdZ noch nie in Österreich oder Deutschland erlebt. Es grenzt oft sogar an Betrug. In jedem Fall sind es Geschichten, die teilweise das Zeug zum Schelmenroman haben.

Apropos Taxi. Apropos Betrug. Wieder einmal - und wie oft schon? -  fiel der VdZ vertrauensselig einem Wegelagerer in die Hände, der 60 Prozent mehr verlangte als die üblichen Taxis und es wären mehr geworden, wenn der VdZ es nicht wahrgenommen hätte und sich daraufhin lautstark beschwerte, da der Taxilenker, nachdem er mitbekommen hatte, daß sein Fahrgast Österreicher war, schnell noch den Tarif ein paar Knöpfe höher drückte. Daraufhin begrenzte der Fahrer den Preis und meinte frech, warum sich der VdZ beschwere, in Wien zahle man schon sechs Euro Grundtarif. (Was im übrigen nicht einmal stimmt.)

Abgesehen davon, daß man dort im Mercedes fährt, und nicht in irgendeinem ausgetretenen, altersschwachen Ford. (Und einige Taxigesellschaften in Sopron zeigen, daß es auch anders geht; die HABEN zwar Skoda oder Toyota, aber wenigstens neu, und verlangen die Hälfte.) Was aber vielen Ungarn nicht klar ist, daß das Niveau der Dienstleistungen im öffentlichen Leben in ihrem Nachbarland deutlich höher ist. Das heißt, daß jeder Österreicher mit seinen höheren Preisen und Einkommen auch ein weit höheres Niveau an Leistungen unterhält. Preis und Einkommen haben eben immer ein sehr komplexes Wechselspiel, und dieses hat regionale Bedingungen.

Und da gäbe es so manche Geschichten aus dem Alltag zu erzählen, der VdZ hat sie bisher verschwiegen. Aber einmal ist es zuviel. Denn viele Ungarn scheinen - die Alltagserfahrung zeigt es - zu glauben, man könne sich Wohlstand "ermogeln". Ja, der freie Markt sei überhaupt so etwas wie eine Waage, die sich zugunsten dessen neigt, der am besten betrügt. Und die Initiative, Herr Vona, die Sie gesetzt haben - Angleichung der Löhne an westliches Niveau - scheint mir nicht fern von jener Charakteristik.

Wenn man etwa liest, daß der Chef der Jobbik - die der VdZ an sich mit größter Sympathie betrachtet - Gábor Vona, stolz berichtet, daß er große Fortschritte auf dem Weg dazu gemacht habe, daß die Visegrad-Staaten allesamt "gleiche Löhne für gleiche Arbeit in der EU" fordere. Ja, Herr Vona, aber ... das ist doch meist ohnehin der Fall? Denn gleichen Lohn (abgesehen davon, daß das Ziel seltsam und volkswirtschaftlich brachial falsch sein kann) für gleiche Arbeit gibt es bereits.

Denn viele Ungarn arbeiten mit derartiger Nachlässigkeit, Gleichgültigkeit, Schlampigkeit und - wohl zum Ausgleich - betrügerischer Absicht, ja Verachtung dem Kunden gegenüber, daß der VdZ aus vielfacher Erfahrung sagen muß, daß die Arbeit, die man in Ungarn oft erhält, auch das geringere Entgelt nicht einmal wert ist. Oder glauben die Ungarn alle anderen, vor allem die Deutschen (und Österreicher als Teilmenge) seien blöd und hätten ihren Wohlstand in der Lotterie gewonnen? Diesen Eindruck muß man oft gewinnen. Diese Interpretation scheint alles zu rechtfertigen, auch den Raubversuch eines Taxifahrers.

Wer wäre aber dann die Lotteriegesellschaft? Oder glauben die Ungarn, ein Wirtschaftssystem wäre eine Lotteriegesellschaft? Man hat oft sogar den Eindruck. Auch aus dem Beobachten von Geschäftseröffnungen und -schließungen, also dem metaphernhaften "Unternehmergeist". Wer schließt ein Geschäft nach fünf Monaten, wie es hier oft zu beobachten ist? Ist der Jackpot doch nicht gleich geknackt worden? Was glauben die Ungarn, was ein Geschäft ist, warum man es eröffnet, warum man es in guten wie bösen Zeiten hält und - halten muß? Hier entsteht aus der beobachteten Praxis der Eindruck eines Mangels an Ernsthaftigkeit, der auf tiefgreifende Miß- und Unverständnisse hinsichtlich Wirtschaft (und erst recht Wohlstand) als Lebensaufgabe schließen läßt.

Vielleicht sollten die Ungarn einfach einmal Biographien deutscher Unternehmensgründer lesen (oder hören: Ungarisch ist doch so eine phonetische Sprache), dann würden sie vielleicht etwas besser begreifen lernen, daß nur äußerst weitgehendes, ja kritisches persönliches Hingeben an eine Aufgabe, an die man sich sieht, auch ein Unternehmen - und Wohlstand - entstehen läßt. Auf das später so viele mit ... Neid blicken, als wäre alles Zufall. Neid, Mißgunst, beides zu größten Teilen Folge von Ahnungslosigkeit, ist ein wichtiges Motiv in Ungarn. Auch leider in seiner Geschichte.


Morgen Teil 2) Auch hier ist Realismus einerseits, 
Vision anderseits höchst notwendig. NOTWENDIG.



*251017*