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Montag, 10. August 2020

Über den Umgang mit Aphorismen (1)

Sind Aphorismen die eigentliche Art der Mitteilung über Twitter? Immerhin verlangt das Medium Kürze, und damit Prägnanz, und damit jene Abstraktion im Geiste, die auch Aphorismen kennzeichnen. Die ja mehr sind als "kurze Mitteilungen". Die eine Wahrheit über die Welt und das Leben nicht einfach komprimieren, sondern destillieren. Und wer egal welches Ding destilliert, erhält seine Feststoffe als Rest, als Tragegerüst des Dinges selbst.

Aber ist das so? Ist das Destillat noch das Ding? Oder ist dafür nicht jenes Häkelgarn notwendig, das nicht nur die Feststoffe der Wirklichkeit bedeuten, sondern dessen Geschmack, Farbe, Ton - und damit jene sinnlichen Eigentümlichkeiten, die keine (sozusagen) Einschränkung auf "das Ding" bedeuten, sondern das Ding gar nicht anders konstituiert sein lassen als auch MITSAMT seinen Einbindungen, samt seinen Eigenschaften im Ausdruck und das heißt in der Realisierung einer Beziehung?

Ist also zum Beispiel ein Mensch "an sich" denkbar, der nicht inmitten aller seiner Beziehungen, vergangen oder gegenwärtig, steht und stand und stehen wird? Ja, letzteres vor allem wird ja meist vergessen: Der Mensch (und jedes Ding) ist in seiner Gegenwart vor allem - vor allem! - auf das Zukünftige ausgerichtet. Jenes Morgen, auf das hin zu spannen eigentlich erst Leben bedeutet. Als Widerständigkeit, durchaus als Widerständigkeit gegen das Heute. Das, wenn es ihm fehlt, seinen mehr oder weniger baldigen Tod bedeuten würde.

Um nicht zuletzt eines zu vergessen: Den Übermittler des Gesagten, Ausgedrückten, das materielle Medium selbst. Das Handy, den Bildschirm. Auch wenn wir das meist vergessen, weil es nämlich zu selbstverständlich ist (sic!), ist dieses "harte" Medium selbst Teil der Botschaft. Die zu senden ein Fehler ist, ohne daß dabei bedacht wird, in welcher Gestalt es beim Empfänger ankommen wird.

Somit stoßen wir auf einen fundamentalen Widerspruch dabei, über Twitter Aphorismen senden zu wollen. Denn das harte, konkrete Medium der Übermittlung ist ein Medium der Flüchtigkeit, der kurzfristigen Vergänglichkeit. Noch mehr, es ist ein Medium, in dem die Botschaften und "Inhalte" (also der übermittelte Text, das gesandte Bild oder das "shared" Filmchen) in die totale Verfügungsgewalt des Empfängers gestellt werden.

Durch die mit dem Medium verbundene Aufforderung, es zu manipulieren, also "irgendetwas damit zu machen". Und das heißt, daß der Empfänger in einem Zusammenhang steht, in dem er sich als Herr über das Empfangene weiß.

Und das widerspricht dem Wesen des Aphorismischen. Das durch seine Abstrahierung als Erfassen der wirklichen Wirklichkeit von sehr weit den ersten Grundzügen der Welt entsprechenden Wahrheit der Wirklichkeit des Ewigen, Unvergänglichen und Bleibenden nahekommt.

Aphorismen über Twitter zu versenden entspricht somit dem Ausliefern von Perlen an die Schweine. Nicht, weil die Empfänger Schweine sind, sondern weil es durch die Art der Übermittlung an ein zum Schweinefutter an sich wird. Das auch in diesem Rang und Stand beim Empfänger ankommt.* Damit beschädigt der Sender von Aphorismen den Rang der Ewigkeit selbst. Und reduziert die Weisheit und Wahrheit selbst zu dem eines Schweinefutters.

Wollen wir es deshalb als Notgriff sehen, als letzte Möglichkeit, überhaupt noch zu kommunizieren. Inmitten einer Sozietät, in der jeder Einzelne bereits dermaßen isoliert und vereinzelt steht, ohne verbindliche Verknüpfung zu Nächsten, daß er nur noch über eine Ebene erreichbar wird, in der es von ihm selbst abhängt, ob das, was ihm in der Welt begegnet, tiefen oder hohen Rang besitzt.

Also überlege der Sender von Twitter-Nachrichten gut, an wen er seine Botschaften richtet. Um nicht der Wahrheit ins Gesicht zu schlagen, weil der Empfänger zu dieser gerechten, also gemäßen Zuteilung gar nicht in der Lage ist. Denn sogar im haptischen, also "normalen" Leben, mit physischen Kontakten, mit "langsamer" und sinnlich umfassender Welt, ist uns bekannt, daß ein Gesagtes vom Gegenüber nicht begriffen wird, und somit die Kommunikation mißlungen weil sie von Un- und Mißverstehen geprägt ist.

Twitter macht das faktisch unmöglich, weil der Empfänger meist nicht eingegrenzt - also gar nicht "adressiert" - ist. Der Twitternde baut somit Schuld auf. Nämlich die Schuld des Risikos der Beschmutzung der Wahrheit selbst - dieses Risiko einzugehen ist selbst bereits Schuld - gegenüber.

Die wir zu hüten haben wie unseren kostbarsten Augapfel. Nicht nur in unserem Bemühen, sie zu finden, sondern auch in der Art, wie wir sie wie eine stachelige, kostbare Frucht in unseren Händen halten, und dann in die Welt stellen.

Das war ja das Problem zum Zeitpunkt der Etablierung der Schrift, das aus den Bildsymbolen her, die zusammengestellt wurden (wie in einem Bild, einem gemalten Bild!), und die selbst Nachahmungen (aus der Bewegung der realen Dinge somit stammend) von "natürlichen" Gegenständen waren.

Die immer Symbol eines Wirklichen sind, also eine weit umfänglichere, unsichtbare Welt in deren wirklicher Wirklichkeit darstellen. Das also, was Dinge sind, ist nicht sichtbar, aber zugleich das dieses Ding konstituierende Geistige, also wichtiger weil wesentlicher. Somit der Rhythmus, in dem die Schöpfung schwingt, die auf dem Rücken des Wortes reitet, das da Gott war und ist.

Als wir begannen, dieses Wort auf einen Träger zu bannen - Papyrus, oder unter ungeheuren Mühen fein- und dünngeschabte Tierhäute - war das nur denkbar, wenn wir es zu einer kostbaren Gestalt formiert haben. Durch begleitende Malereien, durch Initialen, in denen die Botschaft selbst bereits enthalten war, die der weitere Text nur insofern ausgedeutet hat, als er bewußt Bezug auf die Erinnerung nahm, um so dem Gesagten sein Medium gar nie streitig zu machen: Den Geist, als den Geist der Erinnerung, als den Geist der Begegnung mit dem Unsichtbaren, der Wahrheit, dem Geiste selbst.

Wie soll das aber bei Medien möglich sein, deren Gestalt an sich auf Flüchtigkeit und Vorläufigkeit weil jederzeitige Bereitschaft, ja Aufforderung, sie zu manipulieren (also zu "gestalten"), ausgelegt ist?



Morgen Teil 2) Ein zweiter Teil,
um das Gesagte zu verlangsamen,
und damit dem Inhalt auf andere Art gemäßer zu werden


*Nehmen wir zur Illustration ein Beispiel: Tiere "erkennen" nur, was in ihnen selbst "vorkommt", was also ihrer ontologischen, also geistigen (!) beziehungsweise im Geist formierten Lebenswelt (sic!) vorkommt. Das ist sogar erblich, wie unter anderem Konrad Lorenz bei seinen Forschungen bewiesen hat. 

Sie erkennen nicht die Welt und Wirklichkeit selbst - weil sei keinen Geist haben, in dem sie abstrahieren könnten. Sodaß sie deshalb nicht die Dinge in ihrem wirklichen Wesen, sondern nur in ihren direkten Bezüglichkeiten erkennen. Soweit sie ihren Lebensformen also bereits entsprechen. Man kann neben Tauben Gewehre abschießen (mit denen man die Tauben tötet), und sie werden sitzen bleiben, bis alle tot sind. Während sie die Form (!) eines Raubvogels ... ahnen. (Zum Ahnen siehe morgen und ganz am Ende des Artikels mehr, wenn es noch nicht jetzt klar ist.)

So nebenbei: Das ist der tiefe und so schöne Sinn der Verwendung von bunten Fensterfüllungen (mehr oder weniger "Glas") in gotischen Kirchen. Denn das erst noch ungeformte Irdische (die materia prima, die noch unbestimmte Materie, die unsichtbar ist) als Medium des Geistes - die unsichtbare Struktur des unseren Augen unzugänglichen, also ungeformten Dinges ist für die Brechung des Lichts entscheidend - macht die Schöpfung (= das Licht!) zu einem sinnlich erfahrbaren Ding. Dinge sind erst durch Farbe (aus dem Brechen des Sonnenlichts) erkennbar. Das ist kein Ausflug ins hier Unwesentliche. Der Sinn dieser Ergänzung wird im nächsten Teil erkennbar: Die Struktur des Irdischen entscheidet, was in ihm sichtbar wird ...


*230520*