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Freitag, 7. August 2020

Was Abendländer von Morgenländern scheidet (1)

Die Seele jedes Menschen ist in ihrer Grundausrichtung und damit Ordnung gewissermaßen bei jedem Menschen gleich. Eine Struktur, die freilich nur geistig zu erfassen ist, sich also schon von der Kategorie her für keine Behandlung durch Naturwissenschaft eignet - falsche Methode zum falschen Objekt, sozusagen. Man untersucht ja auch die Struktur eines Eisenmoleküls nicht mit Seziermesser und Bluttabellen. 

Das Wunder der Seele beginnt bei der metaphysischen Tatsache, daß an einem Ort jeweils nur ein Ding sein kann. Damit hat jede Seele andere Bedingungen, unter denen sie mit der Welt korrespondiert, und denen gemäß sie sich mit jenen Inhalten füllt, die ihre (bei allen gleiche, aber nur im Geist zu erfassende) Grundausrichtung vorfindet und aufnimmt. Somit hat jede Seele ihre eigene Komplexität, und diese ist, weil die Seele ein Ganzes ist, das wie jedes Ganze an einer "Spitze" (als Hauptbestimmungsfaktor) aufgehängt ist, somit "anders" als jede andere Seele. 

Aus den Daseinsbedingungen, die an jedem Ort anders sind (und alles was ist, ist an einem Ort), befindet sich jede Seele in einem wiederum völlig anderen Umfeld vulgo "Umgebung". Mit anderen Einflußfaktoren, die wiederum aber - vergessen wir das nicht! - auf für alle Seelen (wie alle Dinge) gleichen Sinnbedingungen stößt. Sinn? Ja, Sinn. Weil der Sinn es ist, der alle Dinge, wie ein Magnet, AUSRICHTET. 

Was ein Ding, was eine Seele von der anderen unterscheidet, ist "lediglich" der Weg aus den jeweils anderen Bedingungen, in denen es (sie) sich befindet, zu ihrem (geistigen) Sinn zu finden. Das ist ihr Hauptstreben, und nur daraus ist die Seele deshalb zu verstehen. Worin eine Seele in ihren unterschiedlichen Ebenen natürlich auch - beginnend mit der Landschaft als jener Tektonik, die den Grundrhythmus des Menschen vorgibt, in dem er "schwingt" - natürlich jeweils anders finden muß. 

Deshalb läßt sich nicht nur davon sprechen, daß Seelen eines bestimmten Umkreises gewisse Gleichheiten aufweisen (die wiederum geistiger Natur sind), sondern auch in ihren Wegen zum Sinn gleiche Züge demonstrieren. Deshalb kann man sehr wohl von einer Seele des Orients (Morgenland) in ihrer Unterscheidung von der Seele des Okzidents (Abendland) sprechen. Deshalb kann man in diesen jeweiligen geographisch (wenigstens so irgendwie) bestimmbaren Orten auch bestimmte seelische Grundzüge lokalisieren.

Diesen Versuch unternahm auch Willy Haas in seinem schmalen Büchlein "Die Seele des Orients" vor mittlerweile fast einhundert Jahren. Haas mag damals, als sein Büchlein erschien, nicht von großen Leserkreisen beglückt worden sein. Aber eines dieser Büchlein schwamm über diese hundert Jahre bis zum Verfasser dieser Zeilen, der es in einem Antiquariat fand. Und dem er nun einen wichtigen Impuls verdankte, warum auch immer, in dem er viele Gedankenwege zu einer Idee verbinden konnte, die den Themenkomplex mit einem Schlage erhellt. 

Haas beschreibt 1916 ja nur, was er sah, er nahm also nur Fakten zur Kenntnis. Und meinte aus seinen Beobachtungen sohin den Grund definieren zu können, warum der Abendländer den Menschen des Orients nicht versteht und auf eine Weise auch nie verstehen kann. 

Denn der Abendländer zieht alle Bereiche seines Umfelds, seiner Umgebung, also der Welt zu einem Punkt zusammen. Den er so auffaßt, daß er von einem Sinn her beleuchtet ist. Immer, und in jedem Fall führt also die Fülle der Einzelerscheinungen der Welt zu ein und demselben (geistigen) Begriffsbild. Das in sich keine Widersprüche enthalten kann. Der Abendländer sucht also so lange, bis er alles, was er vorfindet, in einen logos, in einem Sinn einzuordnen vermag.

Das ist beim Orientalen (wobei Haas diesen Begriff für die Menschen vom Vorderen Orient bis nach China einsetzt) anders. Dieser "kann" mit der Spannung leben, die ein bloßes Nebeneinander der Einzelerscheinungen der Welt mit sich bringt. Diese Bereiche werden nicht zusammengefaßt, sondern nur auf die eine oder andere Weise pragmatisch "stehen gelassen". 

Deshalb wird der Orientale dem Okzidentalen immer "undurchschaubar" erscheinen. Denn er ist das, tatsächlich! Durchschaubar ist nur der Abendländer, wenn man so will, weil der auch diesen Anspruch an die Interpretation der Welt, an das Lesen des logos als der inneren Grammatik der Welt, hat. 

Der Orientale kann deshalb von einem Bereich zum anderen springen, und dort jeweils diesem Teilbereich "genügen", entsprechen. Somit kann er von einem Moment zum anderen scheinbar "komplett anders" sein. Ohne daß er das als seltsam sehen würde, was dem Europäer aber als "Falschheit" erscheint. 

Wir wollen das einmal nur zur Kenntnis nehmen, einfach nur anschauen. Und uns erst jetzt mit den Gründen dafür auseinandersetzen. Denn die gibt es! Es sind Gründe, die in dem ansetzen, was wir oben als "Haken" bezeichnet haben, an dem alle Dinge (also die Welt) aufgehangen sind. Als Punkt, von dem her jedes Ding (also auch der Mensch) bestimmt sind. 

Hier stoßen wir somit sofort auf das Sein selbst, auf diesen abstrakten Begriff, den wir letztlich als "Gott" bezeichnen. Aus dem alles stammt, insofern es am Sein teilhat, also "Seiendes" ist, das "Sein hat". Das es auch verlieren kann, ohne daß das Sein selbst davon berührt ist. Dinge können vergehen. Lebewesen können sterben (ja, sie tun es mit Gewißheit), eine Tatsache die sich aus der Beobachtung, also Erfahrung ergibt. 

Morgen Teil 2) Warum der Abendländer 
überlegen bleiben wird 


*260720*