Aufgeregt verlangte K ein Treffen, er habe etwas entdeckt, etwas Wichtiges. Wir wählten die Kantine des Konservatoriums, der Kaffee kostete dort nur 2 Euro, und die Bedienung war gleichgültig genug, damit man dort auch längere Zeit sitzen konnte, ohne etwas bestellen zu müssen.
"Und?"
"Ich habe die Unterwanderung der Wiener Schauspielszene durch die Kommunarden des Otto Mühl aufgedeckt" flüsterte er. Dann erklärte er. "Du erinnerst Dich doch an dieses Buch, von diesem Aussteiger? Der hat doch beschrieben, daß viele Mitglieder der Mühl'schen Kommune ins Schauspiel eingestiegen waren, und nicht nur das - auch ins Ausland, namentlich in die USA gegangen waren?"
Ich erinnerte mich. Wie zur Bestätigung hatte ich damals am nächsten Tag - da rede noch einer von Zufälligkeit des Lebens - bei einem Dreh einen Schauspieler kennengelernt, dessen Gesicht mich sofort an Mühl erinnert hatte. Sie haben ja alle dieselben Gesichter! Der hatte genau davon berichtet. Von seinem Weg aus der aufgelösten Kommune heraus, von Aufenthalten in New York und auf den Philippinen und auf Mallorca, und vom Schauspiel. Und er hatte Namen genannt, von anderen Schauspielern und Schauspielerinnen, die in der Szene Wiens eine nicht überragende, aber doch nicht vernachlässigbare Rolle spielten. K's Ohren hatten damals geglüht, als ich ihm davon berichtet hatte.
Nunmehr wisse er, setzte er fort, daß diese Leute eine weit bedeutendere Rolle spielten, als er bisher angenommen hatte. Er war ja gerade einem "method acting"-Kurs entstiegen. Schon nach dem ersten Tag hatte er berichtet, daß ihn die Atmosphäre stark an die Schilderungen des ausgestiegenen Mühl-Kommunarden in dessen Buch erinnert hätten. Dieselbe totalitäre Atmosphäre, dieselbe aggressive Brechung, dasselbe Unterwerfungsgebot. Manchmal war es mit der Seminarleiterin sogar wie durchgegangen, weshalb K seine Definition des "method acting" sogar veränderte - als rein persönliche Methode, Macht auszuleben, unbedingte, totalitäre Macht. Ja, es war ihm sogar als ebensolche direkte Absicht erschienen, die die Vertreter dieser Methode kennzeichnete. (Was solche Systeme dazu geneigt macht, weniger durch Anwendung und Brauchbarkeit zu glänzen, als durch "Vermehrung"; solche Systeme brachten also fast mehr Lehrer-Jünger hervor als Schüler.)
Am letzten Tag des Seminars hatte sich die Kursleiterin geoutet. So nebenher war der Satz gefallen, sie wollte manche der Schüler motivieren, die Schwierigkeiten mit manchem Verständnis zu haben schienen (als sei das dabei gefragt! Ist doch der unbedingte Gehorsam mit der Frustration durch Irrationalismus Teil des theoretischen Systems). Die Schauspielerin, die auch eine Reihe anderer Schauspieler "coachte", bekannte sich als Schülerin von P. Jener P, die ebenfalls Kommunardin Mühls gewesen war, im Rahmen eines damals bekannt gewordenen Mißbrauchsfall übrigens, und als Schauspielerin zu jener Gruppe gehörte, die der Kommune auch Geld verdient hatten. Und die in einer Wohnung in Wien - also außerhalb der eigentlichen Kommune im Burgenland - gelebt hatte.
Geld, das übrigens in Immobiliengesellschaften versickert war, die große Grundstücke auf Mallorca, aber auch weltweit Destinationen (u. a. in New York) angekauft hatte. Von denen heute keiner mehr etwas zu wissen scheint ... außer daß die Internationalität mancher Kommunarden auffällt.
"Nun denk Dir zu diesem System noch die Journalisten dazu, die ebenfalls in Mühl's Dunstkreis waren, und sei es, daß sie später in die auf den Arealen der Kommune errichteten Reihenhäuser einzog. (Wer sucht schon den Gruftgeruch? Nur Vampire!) Darunter sind ja, wie Du weißt, leitende Redakteure sogenannter Qualitätszeitungen!"
Er habe die Verschwörung aufgedeckt, meinte er aufgeregt. Und blickte nervös um sich.
*040408*