Dieses Blog durchsuchen

Freitag, 11. April 2008

Was wert ist ausgedrückt zu werden


"Der Nichtkünstler ist der Ansicht, ein Künstler verfahre so, wie er selbst verfahren würde, sollte er ein Kunstwerk machen; nur daß der Künstler dabei über wirkungskräftigere Mittel verfüge. Der Nicht-Künstler würde aber überhaupt nicht "verfahren", weil, was er macht, Erinnerung, Zeichen oder Erzählung, doch niemals ein Kunstwerk ist: eine Liebeserinnerung ist noch kein Gedicht, eine Zeugenaussage vor Gericht kein Roman, und ein Familienbildchen kein Gemälde."

Der Dichter, der Maler etc. ist von einer Form "besessen", selbst wenn diese von innen her vorgegebene Gestalt erst im Laufe des Schaffensprozesses klarer und klarer wird. Doch "selbst" ein Romanschriftsteller trägt in sich das Gesamt einer Formidee. Flaubert z. B. nennt die "Madame Bovary" seinen "Roman in braunrot", Salambo den in Purpur ... Im ersten Konzept Dostojewskijs für "Der Idiot" ist nicht einmal Rogoschin, sondern Myschkin der Mörder! Als Dostojewskij das ändert, ändert er nur die Namen - nicht einmal die bereits geschriebenen Szenen! Es sind die Formvorstellungen ... die auch oft über die Werke hinausgehen: Türen, die in "Die Erniedrigten und die Beleidigten" versuchen aufzumachen, finden sich dann in "Die Gebrüder Karamasow" geöffnet. "Die entscheidenden Werke schweben gleichsam über dem, was ihnen vorausgeht, und geben diesem bereits eine leichte Prägung: viel dunkler bliebe uns, was romanische Kunst an Gotischem schon in sich birgt, machte es die Gotik uns nicht selbst deutlich."

Jede dieser Vorstellungen bedeutet einen Bruch mit der bereits vorhandenen Kunst, aus der sie hervorgeht. "Ein Mensch, dem eine Fee den Geist des Mißvergnügens an allem, was existiert, nicht schon in die Wiege gelegt hat, wird niemals etwas Neues entdecken" (R. Wagner). Malraux stimmt dem zu, schränkt nur ein, daß Widerspruch nicht zornige Ablehnung sein muß. Denn das Entscheidende des Künstlers ist sein Wunsch nach Verwandlung! Und sei es, der Welt ihre Masken vom Gesicht zu reißen, um zu zeigen, daß mehr Glück in ihr vorhanden ist als man glauben möchte.

So ist die Anklage - ein Signum der modernen Kunst - viel mehr als aufgezeigte und erhoffte Erlösung zu verstehen. So offenbart sich im Werk der Sinn der Welt. Offenbart, was von der Welt überhaupt ausdruckswürdig war, selbst wenn dies Ablehnung der Welt bedeuten würde. "Für manche Künstler ist auch die überzeugendste Wirklichkeit nichts als Schein, Maske und Versuchung: verglichen mit der heiligen Begierde des Geistes, die nur durch höchste Kunst zu stillen ist, nichts als elende Gier des Auges ..."

Es geht um die Wahrheit der Malerei, nicht um Bewertung der dargestellten Vorgänge - letztere findet sich in ersterer! Dafür nehmen ein Rembrandt, ein Frans Hals (Bild: "Die Regentinnen des Altmännerhauses") Armut und Verachtung in Kauf, wirft ein Michelangelo den Papst aus dem Haus oder legt sich El Greco mit Philipp II. an. "Der Künstler entsteht aus Gefangenschaft eines Stils, durch den er von der Gefangenschaft in der Welt frei geworden ist."

André Malraux, "Psychologie der Kunst - Die künstlerische Gestaltung"





*110408*