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Freitag, 11. April 2008

Religionsersatz "Gesundheit" - der neue Totalitarismus

(Titelverlinkung: Zenith - Interview mit Dr. Manfred Lütz)

Wieder eine Lesefrucht, die ich kurz zusammenfasse, weil einige Blüten zu den Themen in diesem Blog passen: das Interview mit Dr. Lütz, der derzeit sicher einer der originellsten und wirksamsten Redner ist, die im katholischen Raum - als hellsichtige Analysten der Gegenwart - auftreten, das Zenith (www.zenith.org) führte.

Wobei man zumindest hinweisen muß, daß der Totalitarismus, den Lütz ortet, was das Thema Gesundheit anbelangt bestenfalls ein Ausschnitt jenes Totalitarismus ist, der nach und nach alle Lebensbereiche umfaßt - weil sich ein Bereich nach dem anderen irrational "moralisiert" (z. B. Klimaschutz) und damit totalitär wird.

Ich habe schon vor fünfzehn Jahren prophezeit, daß wir in etwa um das Jahr 2015 - auf die Jahreszahl bin ich aus Überlegungen hinsichtlich Generationswechsel, Pädagogik, psychologische Entwicklungen der Lebensalter etc. gekommen - eine zu höchster Gewalt neigende (sogar in gewissen Zügen: "konservativen") Wertediktatur zu erwarten haben werden. Das scheint sich Jahr um Jahr zu bestätigen, so schwierig es für den Einzelnen ist, als jemand "mitten drin" die Skalenbewegung im absoluten Maßstab bezogen auf 1993 zu beobachten. Eine Entwicklung noch dazu, an der die Kirchen seit vielen Jahren und ungebrochen kräftig mitwirken, weshalb es nicht schwer ist, ihr für unsere Breiten zumindest Schlimmstes zu prophezeien.

Einige Sätze von Lütz:

... von der Gesundheitsreligion wird ja in gewisser Weise das ganze Leben erfasst. Rund um die Uhr beobachten sich Menschen selber oder werden beobachtet. Der Staat betreibt gesundheitsreligiöse Missionskampagnen und die Krankenkassen erziehen erwachsene Bürger durch Bonus-Malus-Systeme zu tugendhaftem Gesundheitsverhalten. Manch einer ist rund um die Uhr mit diesem Thema beschäftigt. Zudem herrscht in diesem Bereich strenge political correctness. Das heißt: Es gibt bestimmte Tabuthemen, die Sie auf keinen Fall offen ansprechen dürfen. Eben ganz so wie in totalitären Systemen. Ich habe einmal vor vierzig Pflegedienstleitern großer Krankenhäuser über Spätabtreibungen gesprochen und anschließend gefragt, wer die Situation in Deutschland vorher wirklich gekannt hat. Zwei Drittel hatten noch nie gehört, dass man in unserem Land ein Kind im Geburtskanal mit einer Kaliumspritze ins Herz töten darf, de facto mit der einzigen Begründung, dass es behindert sei, zum Beispiel eine Hasenscharte habe. Diese grausame Tötungsprozedur ist im Gegensatz zur Abtreibung von gesunden Kindern nicht rechtswidrig und wird anstandslos von der Krankenkasse bezahlt. Es gibt allerdings ein Mittel, mit dem man die political correctness brechen kann: Satire. Wie in allen totalitären Systemen kann man auch in unserer Gesundheitsgesellschaft die Wahrheit nur satirisch sagen.

... Die Gesundheitsreligion hat inzwischen ihren eigenen Fundamentalismus entwickelt: Die „Ethik des Heilens“. Die „Ethik des Heilens“ ist in Wirklichkeit das Ende der Ethik.

... Es reicht völlig aus, im Sinne der trügerischen angeblichen „Ethik des Heilens“ die Hoffnung zu wecken, man könne über embryonale Stammzellen vielleicht irgendwann einmal irgendwelche Krankheiten heilen, um einen enormen öffentlichen Druck aufzubauen und jede Gegenmeinung als unmenschlich und außerdem ewig gestrig zu diskreditieren. ...

... (die) Kirchen die Chance nutzen können, eine öffentliche Debatte über viele grundlegende ... Fragen zu führen. Da ist nicht nur die Gottesfrage, die inzwischen wieder auf der Ebene der intellektuellen Debatte angekommen ist. Da ist die Frage nach der Menschenwürde und damit verbunden die Frage nach der Wertigkeit der Gesundheit. Wir haben heute ja keine Weltanschauungsdebatten mehr, wir haben Menschenanschauungsdebatten. ...

... Beobachtung, dass die Gesundheitsreligion inzwischen auch die christlichen Kirchen selbst erfasst hat ...

... zum Beispiel beim Heilfasten in der Fastenzeit: Der Pfarrer ist ganz stolz, die Quote stimmt, die Leute strömen in Massen. Doch in Wirklichkeit hat Heilfasten mit Fasten gar nichts zu tun. ... Heute fastet man, um möglichst spät und möglichst gesund in den Himmel zu kommen ... Man passt sich also bloß an die gesundheitsreligiöse Atmosphäre an ...

... Die Ewigkeit ist aus dem Blick geraten. ... Der mittelalterliche Mensch ... lebte länger ... er hatte vor seinem geistigen Auge das Diesseits plus das ewige Leben. Ich meine das jetzt nicht als Gag. ... (er) konnte – psychologisch gesehen – gelassener leben, weil mit dem Tod nicht alles aus war. Heute ist das völlig anders. Wenn mit dem Tod alles vorbei ist, dann schnurrt das Leben enorm zusammen. Es wird viel kürzer und es bricht Hektik aus. ...

... Ob jemand Christ ist oder nicht, das wird man in einigen Jahren nicht daran erkennen, ob er trinitarisch denkt oder nicht, sondern daran, ob jemand einen späten Alzheimer-Patienten für schützenswerter hält als einen Schimpansen oder eben nicht ...





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